Jack Morrow und das Grab der Zeit: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
mit!«
16 Vergebliche Mühe
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Vergebl iche Mühe
» H ier ist es ! « , rief Jack. » Timothy McBride, 13. Januar 1 8 1 3.«
Der Friedhof von Whitechapel war klein und heruntergekommen, viele Grabsteine waren beschädigt oder umgefallen, und entsprechend schnell hatte Jack den richtigen gefunden. Die große Statue eines Engels mit ausgestreckten Flügeln bezeichnete die Grabstelle.
Jack drehte sich zu Davey um, und ihm kam eine neue Frage in den Sinn. »Kann ich überhaupt Sachen mitnehmen?«
»Bist du nackt hier angekommen?«
Jack grinste. Zum Glück nicht!
»Du kannst Sachen mitnehmen, aber je größer sie sind, desto schwieriger wird es«, erklärte Davey. »Behalte das im Kopf, dann sollte alles klappen.«
Jacks Magen zog sich prompt zusammen. »Sollte?«
»Hör mal, du wolltest das machen, nicht ich. Suchst du nun nach dem Tränentunnel oder nicht?«
Jack legte seine Hand auf den alten Grabstein.
»Spürst du irgendwas?«, fragte Davey.
»Nein, bis jetzt nicht.«
»Ich hab doch gesagt, es ist Wahnsinn. Das ist einfach zu lange her. Der Tränentunnel hat sich längst aufgelöst.«
Plötzlich schoss Jack ein Bild durch den Kopf: ein Pferd, das einen schwer beladenen Wagen zog. »Ich hab was.«
»Echt? Ich glaube es nicht.« Davey legte selbst eine Hand auf den Stein.
»Sie war total schwach«, sagte Jack. »Aber jetzt wird sie stärker.«
»Ich kann da gar nichts spüren.«
Jack öffnete die Augen und sah Davey an. »Bist du überhaupt je ein Springer gewesen?«
»Nein«, gab Davey zu. »Mein alter Herr aber, darum dach ten alle, dass ich auch einer wäre, und ich bin eine Zeit lang bei einem Zimmermann in die Lehre gegangen. Der hat mir gezeigt, wie man einen Tränentunnel öffnet, die ganzen Grund lagen, aber ich hab den Dreh nie rausbekommen. Mir fehlt einfach das Talent.« Er ließ die Hand vom Grabstein sinken.
»Warte«, sagte Jack. »Jetzt wird die Linie schwächer. Leg deine Hand wieder zurück.«
Davey tat es und schloss die Augen.
Jack lächelte. »Ja, da ist sie wieder.« Er nahm Daveys andere Hand und hielt sie fest.
Jack konnte sie jetzt deutlich spüren; Daveys Berührung verstärkte seinen Zugang zum Tränentunnel irgendwie. Eine Flut von Bildern strömte auf ihn ein – er sah die Beerdigung und den Unfall, der zum Tod geführt hatte, und die Schmerzen von gebrochenen Knochen pulsierten in seinem Körper.
»Ich spüre das!« Davey lachte trotz der dumpfen Schmerzen.
Jack fühlte und drängte sich weiter hinein. »Hab sie«, flüsterte er.
Unvermittelt tat ihm die Hand weh, als würde sie zerreißen. Er versuchte sie aus Daveys Griff zu lösen, aber es war zu spät, er befand sich im Tränentunnel. Er konnte nicht schreien und sich nicht bewegen, die Schmerzen nahmen zu. Es fühlte sich an, als würde sein Arm immer mehr in die Länge gezogen, bis er riss, eine Faser nach der anderen. Mit den Schmerzen kam eine Flut von Bildern, die lebendiger waren, als er es auf seinen ersten beiden Reisen durch die Tränentunnel erlebt hatte.
Er war ein Junge, der um den Tod seiner Mutter weinte, nur dass es nicht seine eigene war …
Sein betrunkener Vater drückte ihn unter das kalte Wasser der Themse, um ihn zu ertränken, und er spürte das Grauen, von jemandem verraten zu werden, der ihn doch lieben sollte …
Er wehrte sich, kam plötzlich frei und rannte barfuß durch die dunklen Straßen Londons …
Er war allein im Regen, zitternd und hungrig …
Ein weißhaariger Junge freundete sich mit ihm an und verriet ihn dann …
Zwei Männer schlugen ihm ins Gesicht, zerrten ihn über Kopfsteinpflaster, brachten ihn in irgendein Kellerloch …
Er fand sich auf einem fremden Schiff wieder und sprang später über Bord, ins Unbekannte …
Er war wieder zurück in London, elend und zerschlagen, und hatte niemanden, der ihm half …
Die Angst und die Einsamkeit überstiegen die Schmerzen, die jedoch nicht nachgelassen hatten. Er wünschte sich, das alles würde aufhören, er konnte es nicht länger ertragen …
Er spürte ein Seil um den Hals, spürte seine Angst, sein Bedauern, seine Feigheit …
Und dann sah er sein eigenes Gesicht, das ihn ansah …
Jack ertrank in Erinnerungen.
Gerade als er dachte, dass er es nicht länger aushielt, spürte er gefrorenen Boden unter sich, und ihm fielen zarte Schneeflocken ins Gesicht. Sein Kopf war schwer, voller neuer Erinnerungen, und ein überwältigendes Gefühl des Verlusts und Versagens drückte ihn nieder. Ihm tat immer noch der
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