Jack Reacher 01: Größenwahn
leicht. Die Grüntöne sind nur eine Frage der richtigen Farbmischung. Sie werden so lange gemischt und ausprobiert, bis sie echt wirken. Das Schwarz hingegen ist magnetisch, wußten Sie das?«
Ich schüttelte wieder den Kopf. Sah mir den Zehner aus der Nähe an. Kelstein lächelte.
»Sie können es nicht sehen. Eine flüssige, eisenhaltige Chemikalie wird mit der schwarzen Farbe vermischt. So funktionieren die Geldautomaten. Sie scannen die Prägung in der Mitte des Porträts, und die Maschine liest das Signal, das davon abgegeben wird, wie ein Tonkopf die Töne von einer Musikkassette abliest.«
»Und man kann diese Farbe bekommen?« fragte ich.
»Überall auf der Welt«, sagte er. »Alle benutzen sie. Wir sind hinter anderen Ländern im Rückstand. Wir möchten nicht zugeben, daß wir uns über Geldfälscherei Sorgen machen.«
Ich erinnerte mich an Mollys Worte. Über Glauben und Vertrauen. Ich nickte.
»Die Währung muß Stabilität ausstrahlen. Deshalb zögern wir, sie zu verändern. Sie muß zuverlässig, stark und beständig wirken. Drehen Sie den Zehner um und sehen Sie ihn sich an.«
Ich blickte auf das grüne Bild auf der Rückseite des Zehners. Das Finanzministerium stand in einer menschenleeren Straße. Nur ein Wagen fuhr vorbei. Er sah aus wie ein Ford, Model-T.
»Hat sich seit 1929 kaum verändert«, sagte Kelstein. »Psychologisch gesehen ist das sehr wichtig. Wir ziehen den Anschein der Zuverlässigkeit der Sicherheit vor. Das machte Joes Arbeit ziemlich schwierig.«
Ich nickte wieder.
»Stimmt«, sagte ich. »Also haben wir jetzt die Presse, die Platten und die Farben. Was ist mit dem Papier?«
Kelstein strahlte und legte seine schmalen Hände zusammen, als wären wir endlich zum interessanten Teil gekommen.
»Das Papier ist Problem Nummer vier«, sagte er. »Eigentlich sollten wir sagen, daß es das Problem Nummer eins ist. Denn es ist bei weitem das größte. Es ist die Sache, die Joe und ich bei Kliners Unternehmen nicht begreifen konnten.«
»Warum nicht?« fragte ich ihn.
»Weil sein Papier perfekt ist. Es ist hundertprozentig perfekt. Sein Papier ist besser als sein Druck. Und das ist absolut beispiellos.«
Er schüttelte verwundert seinen großen, weißen Schopf. Als sei er voller Bewunderung für Kliners Leistung. Wir saßen dort, Knie an Knie, schweigend in den alten Sesseln.
»Perfekt?« hakte ich nach.
Er nickte und kehrte zu seinem Vortrag zurück.
»Es ist beispiellos, denn das Papier ist der heikelste Teil des gesamten Fälschungsvorgangs. Vergessen Sie nicht, wir sprechen hier nicht über irgendein Amateurunternehmen. Wir sprechen über einen Betrieb mit industriellen Ausmaßen. In einem Jahr drucken sie vier Milliarden in Hundertdollarnoten.«
»So viel?« fragte ich überrascht.
»Vier Milliarden«, wiederholte er. »Ungefähr genausoviel wie der Betrieb im Libanon. So lauteten Joes Zahlen. Und er mußte es schließlich wissen. Und das macht die Sache unerklärlich. Vier Milliarden in Hundertern sind vierzig Millionen Banknoten. Das ist eine Menge Papier. Es ist eine Menge Papier, die sich einfach nicht erklären läßt, Mr. Reacher. Und ihr Papier ist perfekt.«
»Was für ein Papier braucht man denn?« fragte ich ihn.
Er langte herüber und nahm mir die Zehndollarnote ab. Zerknüllte sie, zog sie auseinander und zerriß sie mit einem Ratsch.
»Es ist eine Mischung verschiedener Fasern«, sagte er. »Eine sehr geschickte und vollkommen einzigartige Mischung. Ungefähr achtzig Prozent Baumwolle, ungefähr zwanzig Prozent Leinen. Keinerlei Holzfaser. Es hat mehr mit dem T-Shirt an Ihrem Körper als zum Beispiel mit einer Zeitung gemein. Ein sehr raffiniertes chemisches Färbemittel ist darin, damit es diese einzigartig cremefarbene Tönung bekommt. Und es sind willkürlich rote und blaue Polymerfäden darin eingestampft, die so fein sind wie Seide. Währungspapier ist wunderbares Papier. Strapazierfähig, für Jahre haltbar, weder in kaltem noch in heißem Wasser auflösbar. Besitzt eine absolut präzise Saugkraft und ist in der Lage, auch die allerfeinsten Gravuren aufzunehmen.«
»Also könnte man das Papier nur schwer nachmachen?« fragte ich.
»Das ist praktisch unmöglich«, erwiderte er. »Auf eine Art ist es so schwierig nachzumachen, daß selbst der offizielle Lieferant der Regierung es nicht kopieren könnte. Der hat schon wahnsinnige Schwierigkeiten, es Lage für Lage gleichbleibend zu produzieren, und er ist bei weitem der fähigste Papierhersteller
Weitere Kostenlose Bücher