Jack Reacher 01: Größenwahn
Nacht geworden. Es sah aus, als würde eine riesige Schlechtwetterfront von irgendwoher auf uns zurollen. Als wir die Maschine verließen, war die Luft in dem kleinen Gang dick und stickig und roch nicht weniger nach Unwetter wie nach Kerosin.
Ich holte den Schlüssel des Bentley am Informationsschalter in der Ankunftshalle ab. Er steckte zusammen mit dem Parkschein in einem Umschlag. Ich ging hinaus, um den Wagen zu suchen. Spürte, daß warmer Wind von Norden her wehte. Der Sturm würde gewaltig werden. Ich konnte fühlen, wie sich die blitzgeladene Spannung aufbaute. Ich fand den Wagen auf dem Kurzzeitparkplatz. Die hinteren Fenster waren alle dunkel getönt. Der Typ hatte es noch nicht bis zur Vorderseite und zur Windschutzscheibe geschafft. Dadurch sah der Wagen aus wie einer, den Mitglieder eines Königshauses benutzen, mit Chauffeur. Meine Jacke lag ausgebreitet im Kofferraum. Ich zog sie an und fühlte wieder das beruhigende Gewicht meiner Waffen in den Taschen. Ich stieg auf den Fahrersitz, fuhr aus dem Parkplatz und steuerte Richtung Süden den Highway hinunter in die Dunkelheit. Es war neun Uhr, Freitag abend. Vielleicht noch sechsunddreißig Stunden, bevor sie wieder anfangen konnten, den Vorrat zu exportieren.
Es war zehn Uhr, als ich Margrave erreichte. Noch fünfunddreißig Stunden. Ich hatte die Zeit damit verbracht, über etwas nachzudenken, was wir an der Stabsakademie gelernt hatten. Wir hatten dort Militärphilosophie studiert, zum größten Teil von diesen alten Krauts geschrieben, die auf so etwas standen. Ich hatte dem nicht besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt, aber an eine Sache erinnerte ich mich. Sie besagte, daß man früher oder später die Hauptstreitmacht des Feindes angreifen mußte. Sonst konnte man keinen Krieg gewinnen. Früher oder später spürte man die Hauptstreitmacht auf, nahm den Kampf mit ihr auf und zerstörte sie.
Ich wußte, daß ihre Hauptstreitmacht zehn Personen gezählt hatte. Hubble hatte mir das verraten. Nachdem sie Morrison hatten sausenlassen, waren sie nur noch neun. Ich wußte über die beiden Kliners Bescheid, über Teale und über Baker. Also mußte ich noch fünf Namen herausfinden. Ich lächelte vor mich hin. Bog von der Landstraße auf Enos Kiesparkplatz ein. Parkte am hinteren Ende der Reihe und stieg aus. Streckte mich und gähnte in die Nachtluft. Das Unwetter hielt sich noch zurück, aber es würde irgendwann losbrechen. Die Luft war immer noch dick und schwer. Ich konnte immer noch die Spannung in den Wolken spüren. Ich konnte immer noch den warmen Wind auf meinem Rücken spüren. Ich ging zum Rücksitz des Wagens. Streckte mich auf der Lederbank aus. Ich wollte eine Stunde oder anderthalb schlafen.
Ich träumte von John Lee Hooker. Von den alten Zeiten, als er noch nicht berühmt war. Er hatte eine alte Gitarre mit Stahlsaiten und spielte sie auf einem kleinen Hocker sitzend. Der Hocker stand auf einem quadratischen Holzbrett. Hooker drückte sich für gewöhnlich alte Verschlüsse von Bierflaschen in die Sohlen seiner Schuhe, damit sie Geräusche machten. Selbstgemachte Stepschuhe. Er saß auf seinem Hocker und spielte in seinem ausdrucksvollen, lebhaften Stil die Gitarre. Dabei klackte er die ganze Zeit mit seinen umfunktionierten Schuhen auf das Holzbrett. Ich träumte, wie er den Rhythmus mit seinen Schuhen auf das Holzbrett klackte.
Aber nicht John Lees Schuhe machten dieses Geräusch. Es war jemand, der an die Windschutzscheibe des Bentleys klopfte. Ich wachte plötzlich auf und rappelte mich hoch. Sergeant Baker blickte mich an. Die große Chromuhr auf dem Armaturenbrett zeigte halb elf. Ich hatte eine halbe Stunde geschlafen.
Zuallererst änderte ich meinen Plan. Mir war ein viel besserer direkt in den Schoß gefallen. Den alten Krauts hätte das gefallen. Sie mochten taktische Flexibilität. Als zweites steckte ich meine Hand in die Tasche und schob den Sicherungshebel der Desert Eagle zur Seite. Dann stieg ich durch die gegenüberliegende Tür aus und blickte über das Dach hinweg zu Baker. Er setzte sein freundliches Grinsen auf, mit Goldzahn und allem Drum und Dran.
»Was machen Sie da?« sagte er. »Wenn Sie hier auf einem öffentlichen Platz schlafen, können Sie wegen Landstreicherei eingesperrt werden.«
Ich gab ihm sein freundliches Grinsen zurück.
»Ich trage zur Sicherheit auf den Straßen bei«, sagte ich. »Es heißt doch immer, man soll nicht fahren, wenn man müde ist. Man soll rausfahren und ein Nickerchen
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