Jack Reacher 01: Größenwahn
Drehte mich um und gab ihm das Signal.
Die Vorderseite seines Wagens sah so schlimm aus wie die Rückseite. Die Motorhaube war verbogen und der Kühler zertrümmert. Eine grüne Flüssigkeit floß unten heraus, und oben entwich zischend Dampf. Die Scheinwerfer waren zerbrochen, und die Stoßstange schleifte auf dem Reifen. Aber Hubble machte sich wieder ans Werk. Er hielt den Wagen mit der Bremse zurück und trieb den Motor hoch. Genau, wie ich es ihm gesagt hatte.
Ich konnte sehen, daß sich der Wagen zitternd gegen den Bremswiderstand stemmte. Dann schoß er vorwärts und raste auf Finlay in der mittleren Zelle zu. Krachte an einer Ecke in das Titangitter und riß es auf wie eine Axt einen Palisadenzaun. Die Motorhaube des Bentleys flog auf, und die Windschutzscheibe explodierte. Zerborstenes Metall schepperte und kreischte. Hubble kam knapp einen Meter vor Finlay zum Stehen. Das zertrümmerte Auto stoppte mit einem lauten Zischen von dem entweichenden Dampf. Die Luft war zum Schneiden dick.
Ich tauchte durch das Loch in der Zelle und klemmte den Bolzenschneider um das Verbindungsglied, das Finlays Handgelenk an die Gitter kettete. Lehnte mich auf die riesigen Hebel, bis die Handschellen durchgeschnitten waren. Ich gab Finlay den Bolzenschneider und zog ihn durch das Loch aus der Zelle heraus. Hubble kroch durch das Fenster aus dem Bentley. Der Aufprall hatte die Tür verformt, so daß sie sich nicht mehr öffnen ließ. Ich zog ihn heraus, beugte mich noch einmal hinein und zog die Schlüssel ab. Dann liefen wir drei durch den demolierten Mannschaftsraum und stiegen über knirschende Glasscherben, wo eben noch die großen Türen gewesen waren. Stürzten hinüber zu meinem Wagen und stiegen ein. Ich ließ den Motor an und fuhr den Bentley rückwärts aus dem Parkplatz. Legte krachend den Vorwärtsgang ein und fuhr los in Richtung Stadt.
Finlay war befreit. In neunzig Sekunden, von Anfang bis Ende.
KAPITEL 32
Ich verlangsamte am Nordende der Main Street und rollte leise südwärts durch die schlafende Stadt. Niemand sprach. Hubble lag aufgelöst auf der Rückbank. Finlay saß neben mir auf dem Beifahrersitz. Saß einfach nur da, ganz steif, und starrte durch die Windschutzscheibe. Wir alle atmeten schwer. Wir alle waren in dieser Ruhephase, die einem intensiven Gefahrenmoment folgt.
Die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigte ein Uhr morgens an. Ich wollte mich bis vier irgendwo verkriechen. Ich hegte einen bestimmten Aberglauben in bezug auf vier Uhr morgens. Wir sagten beim Militär KGB-Zeit dazu. Es hieß, daß sie immer diesen Zeitpunkt wählten, um an die Tür zu klopfen. Um vier Uhr morgens. Es hieß, daß das immer gut bei ihnen funktioniert hatte. Ihre Opfer waren zu dieser Zeit auf ihrem Tiefpunkt. Gut für jede Operation. Wir hatten es selbst von Zeit zu Zeit versucht. Es hatte bei mir immer gut funktioniert. Also wollte ich wieder bis vier Uhr warten, ein letztes Mal.
Ich lenkte den Wagen hinter dem letzten Geschäftsblock durch die Links- und Rechtskurven die Anlieferstraßen hinunter. Machte die Scheinwerfer aus und hielt in der Dunkelheit hinter dem Friseurladen. Stellte den Motor ab. Finlay blickte sich achselzuckend um. Ein Besuch beim Friseur um ein Uhr morgens war nicht verrückter, als einen Hunderttausend-Dollar-Bentley in ein Gebäude krachen zu lassen. Nicht verrückter, als zehn Stunden lang von einem Irren in eine Zelle eingeschlossen zu werden. Nach zwanzig Jahren in Boston und sechs Monaten in Margrave gab es nicht mehr viel, was Finlay dazu brachte, eine Augenbraue zu heben.
Hubble beugte sich aus dem Rücksitz vor. Er war ziemlich aufgelöst. Er hatte freiwillig drei Zusammenstöße fabriziert. Er war erschüttert und ramponiert. Und ausgelaugt. Es hatte ihn eine Menge gekostet, seinen Fuß auf das Gaspedal zu drücken und auf ein Hindernis nach dem nächsten zuzusteuern. Aber er hatte es getan. Das hätte nicht jeder. Doch jetzt litt er. Ich glitt vom Fahrersitz und stand in der Gasse. Winkte Hubble aus dem Wagen. Er kam durch die Dunkelheit zu mir. Stand vor mir, ein bißchen wackelig.
»Alles okay?«
Er zuckte die Schultern.
»Schätze, ja«, sagte er. »Ich habe mir das Knie angeschlagen, und mein Nacken tut höllisch weh.«
»Gehen Sie auf und ab«, erwiderte ich. »Sie dürfen jetzt nicht steif werden.«
Ich führte ihn die dunkle Gasse auf und ab. Zehn Schritte vor und zurück, das Ganze ein paarmal. Mit dem linken Fuß konnte er nicht fest auftreten. Vielleicht hatte die
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