Jack Reacher 01: Größenwahn
anderen Sinn hat sie nicht. Hubble war gut darin. Aber ich wollte immer noch, daß er meine Frage beantwortete. Meine Stirn tat weh, und ich wollte sie mit kaltem Wasser abspülen. Ich wollte ein bißchen herumlaufen. Ich wollte etwas zu essen. Ich wollte Kaffee. Ich wartete, ohne zuzuhören, wie Hubble sich durch die Kommunalgeschichte von Margrave arbeitete. Plötzlich hielt er inne.
»Was haben Sie mich gefragt?« fragte er.
»Warum haben Sie gestanden, den Mann getötet zu haben?« wiederholte ich.
Er blickte sich um. Dann sah er mich direkt an,
»Es gibt eine Verbindung«, sagte er. »Mehr darf ich jetzt nicht dazu sagen. Der Detective erwähnte den Mann und benutzte das Wort ›Pluribus‹, das mich auffahren ließ. Ich war erschrocken. Ich konnte nicht glauben, daß er von der Verbindung wußte. Dann merkte ich, daß er es gar nicht gewußt hatte, bis ich mich so erschreckte. Sie verstehen? Ich hatte es verraten. Ich fühlte, daß ich es verpatzt hatte. Das Geheimnis verraten. Und das durfte ich nicht, wegen der Drohung.«
Er verstummte und wurde ganz still. Ein Nachklang der Panik, die er in Finlays Büro gefühlt hatte, war wieder da. Er blickte erneut auf. Holte tief Luft.
»Ich hatte Angst«, sagte er. »Aber dann erzählte mir der Detective, daß der Mann tot sei. Erschossen. Ich geriet in Panik, denn wenn sie ihn umgebracht hatten, würden sie möglicherweise auch mich umbringen. Ich kann Ihnen wirklich nicht sagen, warum. Aber es gibt eine Verbindung, ganz wie Sie sagten. Wenn sie diesen speziellen Mann geschnappt hatten, hieß das, daß sie mich auch schnappen würden? Oder hieß es das nicht? Ich mußte darüber nachdenken. Ich wußte ja nicht mal mit Sicherheit, wer den Mann getötet hatte. Aber dann erzählte mir der Detective, mit welcher Brutalität der Mord durchgeführt wurde. Hat er Ihnen das auch erzählt?«
Ich nickte.
»Über die Verletzungen?« fragte ich. »Klang ziemlich unangenehm.«
»Genau«, sagte Hubble. »Und das beweist, daß es die waren, die ich in Verdacht hatte. Also geriet ich wirklich in Panik. Ich dachte: Suchen sie mich jetzt auch? Oder nicht? Ich wußte es einfach nicht. Ich hatte solche Angst. Ich dachte eine Ewigkeit nach. Ging es immer und immer wieder im Kopf durch. Der Detective wurde fast wahnsinnig. Ich sagte nichts, weil ich nachdachte. Fühlte sich an, als wären es Stunden gewesen. Ich hatte einfach Angst, wissen Sie?«
Er verfiel wieder in Schweigen. Ging es wieder in seinem Kopf durch. Wahrscheinlich zum tausendsten Mal. Versuchte herauszufinden, ob seine Entscheidung richtig gewesen war.
»Plötzlich wußte ich, was ich tun mußte«, sagte er. »Ich hatte drei Probleme. Wenn sie hinter mir her waren, dann mußte ich ihnen entwischen. Mich verstecken, verstehen Sie? Um mich zu schützen. Aber wenn sie nicht hinter mir her waren, dann mußte ich mich ruhig verhalten, richtig? Um meine Frau und die Kinder zu schützen. Und von ihrem Standpunkt aus mußte dieser spezielle Mann erschossen werden. Drei Probleme. Also gestand ich.«
Ich konnte seiner Begründung nicht folgen. Es machte nicht viel Sinn, wie er es mir erklärte. Ich blickte ihn ausdruckslos an.
»Drei unterschiedliche Probleme, richtig?« sagte er. »Ich beschloß, mich einsperren zu lassen. Dann war ich sicher, wenn sie hinter mir her waren. Weil sie mich hier drinnen nicht kriegen können, richtig? Sie sind da draußen, und ich bin hier drinnen. Somit wäre Problem Nummer eins gelöst. Aber ich dachte auch, und dies ist der komplizierte Teil, wenn sie eigentlich überhaupt nicht hinter mir her waren, sollte ich mich vielleicht auch besser einsperren lassen, dann aber kein Wort über sie erzählen? Sie würden denken, daß ich versehentlich verhaftet worden wäre, und dann sehen, daß ich den Mund halte. Das sehen sie doch, oder? Und das beweist, daß ich ungefährlich bin. Es ist wie eine Demonstration, daß ich zuverlässig bin. Ein Beweis. Eine Art Feuerprobe. Und damit wäre Problem Nummer zwei gelöst. Und dadurch, daß ich den Mord gestanden habe, gerate ich ja irgendwie endgültig auf ihre Seite. Das Geständnis ist wie eine Erklärung meiner Loyalität. Und ich dachte, sie würden vielleicht dankbar sein, daß ich die Bullen in die falsche Richtung gelenkt habe. Also wäre damit auch Problem Nummer drei gelöst.«
Ich starrte ihn an. Kein Wunder, daß er bei Finlay die vierzig Minuten den Mund nicht aufgemacht und wie verrückt nachgedacht hatte. Drei Fliegen mit einer Klappe.
Weitere Kostenlose Bücher