Jack Reacher 01: Größenwahn
Das hatte er also vorgehabt.
Der Teil mit dem Beweis, daß man ihm vertrauen konnte, war in Ordnung. Wer auch immer sie waren, sie würden das mitkriegen. Ein Aufenthalt im Gefängnis, ohne zu reden, ist ein Übergangsritus. Ein Ehrenabzeichen. Zählt eine Menge. Gut gedacht, Hubble.
Leider war der andere Teil ziemlich fragwürdig. Sie könnten ihn hier nicht kriegen? Er machte wohl Witze. Es gibt keinen besseren Platz, einen Mann auszuschalten, als im Gefängnis. Man weiß, wo er ist, man hat alle Zeit, die man braucht. Viele Typen würden es für einen tun. Gelegenheiten gibt es genug. Außerdem ist es billig. Was würde ein Anschlag draußen wohl kosten? Einen Riesen, zwei Riesen? Dazu das Risiko. Drinnen kostete es einen eine Stange Zigaretten. Und es gab kein Risiko. Weil niemand davon Notiz nehmen würde. Nein, ein Gefängnis war kein sicherer Ort zum Verstecken. Schlecht gedacht, Hubble. Und es gab da noch einen Denkfehler.
»Was werden Sie am Montag machen?« fragte ich ihn. »Sie werden wieder zu Hause sein und das machen, was Sie immer machen. Sie werden in Margrave oder Atlanta oder wo auch immer herumlaufen. Wenn die hinter Ihnen her sind, werden die Sie dann nicht finden?«
Er fing wieder an nachzudenken. Dachte nach wie verrückt. Er hatte noch nicht so weit im voraus geplant. Gestern nachmittag war er in blinder Panik gewesen. Mußte sich mit der Gegenwart befassen. Kein schlechtes Prinzip. Nur daß die Zukunft ziemlich schnell da ist und ebenfalls ihr Recht verlangt.
»Ich hoffe einfach auf das Beste«, sagte Hubble. »Ich hatte
irgendwie den Eindruck, sie würden sich mit der Zeit schon wieder beruhigen. Ich bin sehr nützlich für sie und hoffe, sie denken daran. Im Moment haben wir eine äußerst angespannte Situation. Aber sehr bald schon wird sich alles wieder beruhigen. Ich werde wahrscheinlich einfach da durchmüssen. Wenn sie mich schnappen, dann schnappen sie mich eben. Das ist mir mittlerweile auch egal. Ich mache mir nur Sorgen um meine Familie.«
Er schwieg und zuckte die Schultern. Stieß einen Seufzer aus. Kein schlechter Junge. Er hatte nicht vorgehabt, ein großer Verbrecher zu werden. Es hatte sich von hinten angeschlichen. Ihn so behutsam in seinen Bann gezogen, daß er es gar nicht bemerkt hatte. Bis er aussteigen wollte. Wenn er sehr viel Glück hatte, würden sie ihm erst alle Knochen brechen, nachdem er tot war.
»Wieviel weiß Ihre Frau?« fragte ich ihn.
Er sah herüber. Mit einem Ausdruck des Entsetzens auf seinem Gesicht.
»Nichts«, sagte er. »Überhaupt nichts. Ich habe ihr nichts erzählt. Rein gar nichts. Das konnte ich nicht. Es ist alles mein Geheimnis. Niemand weiß etwas.«
»Sie müssen ihr doch etwas sagen«, erwiderte ich. »Sie wird sicher bemerkt haben, daß Sie nicht zu Hause sind und den Pool reinigen oder was Sie sonst so am Wochenende tun.«
Ich versuchte nur, ihn aufzuheitern, aber die Rechnung ging nicht auf. Hubble wurde still. Sein Blick verschleierte sich wieder, als er an seinen Garten im Licht des Spätsommers dachte. An seine Frau, die sich mit übertriebener Sorgfalt um die Rosen oder was auch immer kümmerte. Seine Kinder, die kreischend umherrannten. Vielleicht hatten sie einen Hund. Und eine Dreiergarage mit europäischen Limousinen, die auf ihre samstägliche Wäsche warteten. Und einen Basketballkorb über dem mittleren Garagentor, der nur darauf wartete, daß der neunjährige Junge groß genug sein würde, um den schweren Ball darin zu versenken. Eine Fahne über dem Vordach. Früh gefallene Blätter, die darauf warteten, weggefegt zu werden. Familienleben am Samstag. Aber nicht an diesem Samstag. Nicht für diesen Mann.
»Vielleicht denkt sie, es sei alles ein Irrtum«, erklärte er. »Vielleicht haben sie es ihr auch erzählt, ich weiß es nicht. Wir kennen einen der Polizisten. Dwight Stevenson. Mein Bruder hat die Schwester seiner Frau geheiratet. Ich weiß nicht, was er ihr gesagt hat. Ich schätze, damit befasse ich mich am Montag. Ich werde sagen, es war ein schrecklicher Irrtum. Sie wird mir glauben. Jeder weiß doch, daß solche Fehler Vorkommen.«
Er dachte laut nach.
»Hubble«, sagte ich, »warum ist dem großen Mann in den Kopf geschossen worden?«
Er stand auf und lehnte sich an die Wand. Stellte seinen Fuß auf den Rand der stählernen Toilettenschüssel. Blickte mich an. Er würde nicht antworten. Nicht auf eine solch umfassende Frage.
»Was ist mit Ihnen?« fragte ich. »Wofür würde man Sie in den Kopf
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