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Jack Reacher 01: Größenwahn

Jack Reacher 01: Größenwahn

Titel: Jack Reacher 01: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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Als würde er Positives und Negatives durchgehen. Die Dinge gegeneinander abwägen. Ich beobachtete ihn. Sah ihn eine Entscheidung treffen. Er drehte sich um und sah zu mir herüber.
    »Ich brauche einen Rat«, sagte er. »Ich habe ein Problem.«
    Ich lachte.
    »Na, das ist eine Überraschung«, sagte ich. »Das hätte ich nie erraten. Ich dachte, Sie seien hier, weil Golfspielen am Wochenende für Sie zu langweilig wäre.«
    »Ich brauche Hilfe.«
    »Mehr Hilfe als eben werden Sie nicht bekommen«, sagte ich. »Ohne mich würden Sie sich jetzt über Ihr Bett beugen und hätten eine Reihe großer, aufgegeilter Typen bis zur Tür hinter sich. Und bis jetzt haben Sie mich nicht gerade mit Dankbarkeit für meine Hilfe überschüttet.«
    Er blickte einen Moment zu Boden. Nickte.
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich bin Ihnen sehr dankbar. Glauben Sie mir, das bin ich. Sie haben mir das Leben gerettet. Sie haben sich um mich gekümmert. Deshalb müssen Sie mir auch sagen, was ich tun soll. Ich werde bedroht.«
    Ich ließ diese Enthüllung einen Moment lang im Raum stehen.
    »Ich weiß«, sagte ich. »Das ist ziemlich offensichtlich.«
    »Ja, und nicht nur ich«, sagte er. »Meine Familie auch.«
    Er zog mich hinein. Ich sah ihn an. Er fing wieder an nachzudenken. Sein Mund bewegte sich. Er zog an seinen Fingern. Seine Augen flogen nach rechts und links. Als wäre auf der einen Seite ein großer Haufen mit Gründen und auf der anderen ein zweiter großer Haufen mit Gründen. Welcher Haufen war größer?
    »Haben Sie Familie?« fragte er mich.
    »Nein«, sagte ich. Was hätte ich sonst sagen sollen? Meine Eltern waren tot. Ich hatte irgendwo einen Bruder, den ich nie sah. Also hatte ich auch keine Familie. Und keine Ahnung, ob ich mir eine wünschte. Vielleicht, vielleicht auch nicht.
    »Ich bin seit zehn Jahren verheiratet«, sagte Hubble. »Letzten Monat zehn Jahre. Gab eine große Party. Ich habe zwei Kinder. Einen Jungen, neun Jahre, und ein Mädchen, sieben Jahre. Eine großartige Frau und großartige Kinder. Ich liebe sie wahnsinnig.«
    Das meinte er ernst. Ich konnte das sehen. Er verfiel in Schweigen. Sein Blick verschleierte sich, als er an seine Familie dachte. Sich fragte, wie zum Teufel er hierher gekommen war, weit weg von ihnen. Er war nicht der erste, der in dieser Zelle saß und sich das fragte. Und er würde nicht der letzte sein.
    »Wir haben ein hübsches Haus«, sagte er. »Draußen, am Beckman Drive. Haben es vor fünf Jahren gekauft. Kostete eine Menge Geld, aber das war es wert. Kennen Sie den Beckman Drive?«
    »Nein«, sagte ich wieder. Er hatte Angst, auf den Punkt zu kommen. Schon bald würde er mir etwas über die Tapete im Gästeklo erzählen. Und wie er die kieferorthopädische Behandlung seiner Tochter bezahlen wollte. Ich ließ ihn reden. Gefängniskonversation.
    »Wie auch immer«, sagte er schließlich. »Jetzt bricht alles zusammen.«
    Er saß da in seiner Drillichhose und seinem Polohemd. Seinen weißen Pullover hatte er sich wieder genommen und um die Schultern gelegt. Ohne seine Brille sah er älter aus, leerer. Brillenträger sehen ohne Brille immer unkonzentriert und verletzlich aus. Der Außenwelt ausgeliefert. Als wäre eine Schicht entfernt. Er sah aus wie ein müder, alter Mann. Ein Bein hatte er ausgestreckt. Ich konnte das Profil auf seiner Schuhsohle sehen.
    Was nannte er eine Bedrohung? Eine Enthüllung oder Entlarvung? Etwas, das sein perfektes Leben am Beckman Drive, wie er es beschrieben hatte, hinwegfegen würde? Möglicherweise war seine Frau in etwas verwickelt. Möglicherweise deckte er sie. Möglicherweise hatte sie eine Affäre mit dem großen, toten Mann gehabt. Möglich war vieles. Möglich war alles. Vielleicht war seine Familie durch Schande, Bankrott, durch ein Stigma oder die Kündigung der Mitgliedschaft im Country Club bedroht. Ich drehte mich im Kreis. Ich lebte nicht in Hubbles Welt. Ich teilte nicht seinen Bezugsrahmen. Ich hatte gesehen, wie er vor Angst zitterte und bebte. Aber ich hatte keine Ahnung, wieviel nötig war, um einem Mann wie ihm Angst einzujagen. Oder wie wenig. Als ich ihn gestern das erste Mal auf dem Revier gesehen hatte, schien er mir aufgebracht und beunruhigt zu sein. Seitdem hatte er von Zeit zu Zeit gezittert, war wie gelähmt gewesen oder hatte angstvoll vor sich hingestarrt. Er war manchmal resigniert und apathisch gewesen. Ganz offensichtlich hatte er große Angst. Ich lehnte mich gegen die Zellenwand und wartete, daß er es mir

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