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Jack Reacher 01: Größenwahn

Jack Reacher 01: Größenwahn

Titel: Jack Reacher 01: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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gegenüberliegenden Seite der Theke. Sie war älter als ich, vielleicht vierzig. Dunkles Haar, sehr schlank, in teuren schwarzen Kleidern. Sie hatte eine sehr bleiche Haut. So bleich, daß sie schon fast leuchtete. Sie bewegte sich mit einer Art nervöser Anspannung. Ich konnte an ihren Handgelenken Sehnen sehen, die wie dünne Seile wirkten. Und ich konnte dieselbe Anspannung in ihrem Gesicht erkennen. Der Mann hinter der Theke glitt zu ihr hinüber, und sie bestellte mit so leiser Stimme Kaffee, daß ich es kaum hören konnte, obwohl sie nicht so weit entfernt und das Geschäft sehr ruhig war.
    Sie blieb nicht lange. Sie trank ihren Kaffee zur Hälfte und blickte immer wieder zum Fenster. Dann fuhr draußen ein großer, schwarzer Pick-up vor, und sie erschauerte. Es war ein brandneuer Wagen, der offensichtlich noch nie etwas Nennenswertes transportiert hatte. Ich konnte einen Blick auf den Fahrer werfen, als er sich zur Beifahrertür hinüberlehnte, um sie zu öffnen. Er war ein zäh aussehender Bursche. Ziemlich groß. Breite Schultern und ein muskulöser Nacken. Schwarzes Haar. Schwarze Haare auch auf den kräftigen Armen. Vielleicht dreißig Jahre alt. Die Frau glitt wie ein Geist von ihrem Stuhl und stand auf. Schluckte einmal. Als sie die Ladentür öffnete, konnte ich hören, wie der Motor im Leerlauf grollte. Die Frau stieg in den Pick-up ein, doch er fuhr nicht weg. Blieb einfach am Bordstein stehen. Ich drehte mich auf meinem Hocker zu dem Mann hinter der Theke um.
    »Wer war das?« fragte ich ihn.
    Der Mann sah mich an, als käme ich vom Mond.
    »Das ist Mrs. Kliner«, sagte er. »Kennen Sie die Kliners nicht?«
    »Ich habe von ihnen gehört«, sagte ich. »Ich bin fremd hier. Kliner gehören die Lagerhäuser am Highway, nicht wahr?«
    »Richtig, und noch eine Menge anderer Dinge. Mr. Kliner ist ein großes Tier hier.«
    »Tatsächlich?«
    »Aber sicher«, sagte der Mann. »Haben Sie noch nie etwas über die Stiftung gehört?«
    Ich schüttelte den Kopf. Trank meinen Kaffee aus und schob den Becher zum Auffüllen hinüber.
    »Kliner hat die Kliner-Stiftung ins Leben gerufen«, erklärte der Mann. »Kommt der Stadt in vielerlei Hinsicht zugute. Er kam vor fünf Jahren hier an, und seitdem ist es, als hätten wir ständig Weihnachten.«
    Ich nickte.
    »Ist mit Mrs. Kliner alles okay?«
    Er schüttelte den Kopf, während er meinen Becher nachfüllte.
    »Sie ist krank, sehr krank. Sehr blaß, nicht wahr? Eine sehr kranke Frau. Könnte Tuberkulose sein. Ich habe gesehen, was Tuberkulose mit Menschen macht. Sie war früher eine sehr gutaussehende Frau, aber jetzt sieht sie aus, als wäre sie in einem Schrank aufgewachsen, oder? Eine sehr kranke Frau, das ist mal sicher.«
    »Und wer ist der Typ im Pick-up?« fragte ich.
    »Der Stiefsohn. Kliners Sohn aus erster Ehe. Mrs. Kliner ist seine zweite Frau. Ich habe gehört, sie versteht sich nicht so gut mit dem Sohn.«
    Er nickte mir in einer Weise zu, die jedes beiläufige Gespräch beendet. Ging, um irgendeine Maschine aus Chrom am hinteren Ende der Theke zu polieren. Der schwarze Pick- up wartete immer noch draußen. Auch ich war der Meinung, daß die Frau aussah, als wäre sie in einem Schrank aufgewachsen. Wie eine seltene Orchidee, die zuwenig Nahrung und Licht bekam. Aber ich war nicht der Meinung, daß sie krank aussah. Ich glaubte nicht, daß sie Tuberkulose hatte. Ich glaubte, daß sie an etwas anderem litt. An etwas, das ich schon ein- oder zweimal gesehen hatte. Ich glaubte, daß sie an purer Angst litt, Angst wovor, das wußte ich nicht. Und das wollte ich auch nicht wissen. War nicht mein Problem. Ich stand auf und legte einen Fünfer auf die Theke. Der Mann gab mir das Wechselgeld in Münzen. Er hatte keine Dollarnoten. Der Pick-up war immer noch da, parkte am Bordstein. Der Fahrer hatte sich vorgelehnt, die Brust auf dem Lenkrad, und starrte mich über seine Stiefmutter hinweg an.
    Mir gegenüber hinter der Theke hing ein Spiegel, Ich sah genau aus wie ein Mann, der zuerst eine Nacht im Bus und dann zwei Tage im Gefängnis verbracht hatte. Ich mußte mich wohl frischmachen, bevor ich Roscoe zum Essen ausführte. Der Mann hinter der Theke sah, was ich dachte.
    »Versuchen Sie es beim Friseur«, sagte er.
    »Am Sonntag?«
    Der Mann zuckte die Schultern.
    »Sie sind immer da«, erklärte er, »Es ist nie richtig geschlossen. Aber auch nie richtig geöffnet.«
    Ich nickte und ging hinaus. Ich sah, wie ein paar Leute aus der Kirche herauskamen, auf dem

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