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Jack Reacher 01: Größenwahn

Jack Reacher 01: Größenwahn

Titel: Jack Reacher 01: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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Sie ihn jemals spielen hören?« fragte ich ihn.
    Er hielt wieder bei seiner Arbeit inne und sah mich an.
    »Mann, ich bin vierundsiebzig. Damals war ich noch ein kleiner Junge. Wir sprechen hier über Blind Blake. Typen wie er spielten in Bars. Ich war nie in Bars, als ich noch ein kleiner Junge war, verstehen Sie. Mir wäre kräftig der Hintern versohlt worden, wenn ich da hingegangen wäre. Sie sollten mit meinem Partner hier sprechen. Er ist ein ganzes Stück älter als ich. Vielleicht hat er ihn spielen hören, nur kann er sich vielleicht nicht mehr daran erinnern, weil er sich kaum noch an etwas erinnert. Noch nicht mal daran, was er zum Frühstück hatte. Stimmt's? Hey, alter Freund, was hattest du zum Frühstück?«
    Der andere alte Mann kam schlurfend näher und lehnte sich an das nächstgelegene Waschbecken. Er war ein knorriger, alter Kerl und hatte die gleiche Farbe wie das Mahagoni-Radio.
    »Ich weiß nicht, was es zum Frühstück gegeben hat«, sagte er. »Weiß noch nicht mal, ob ich überhaupt gefrühstückt habe. Aber hören Sie. Ich mag ein alter Mann sein, aber Tatsache ist, daß sich alte Männer wirklich gut an Sachen erinnern. Nicht an neue Sachen, verstehen Sie, sondern an alte Sachen. Man muß sich unser Gedächtnis wie einen alten Eimer vorstellen, klar? Wenn der einmal mit alten Sachen voll ist, dann kommt nichts Neues mehr rein. Keine Chance, klar? Also erinnere ich mich an jede einzelne alte Sache, weil mein alter Eimer mit lauter Sachen von früher gefüllt ist. Verstehen Sie, was ich sagen will?«
    »Sicher verstehe ich das. Also haben Sie ihn früher jemals spielen hören?«
    »Wen?« fragte er.
    Ich blickte von einem zum andern. Ich war nicht sicher, ob das eine einstudierte Nummer war.
    »Blind Blake«, sagte ich. »Haben Sie ihn jemals spielen hören?«
    »Nein, ich habe ihn nie gehört«, antwortete der alte Mann. »Aber meine Schwester. Ich habe eine Schwester, die über neunzig oder so ist, möge sie noch lange leben. Jetzt jedenfalls lebt sie noch. Sie hat früher ein bißchen gesungen, und früher hat sie oft mit Blind Blake gesungen.«
    »Wirklich? Sie hat mit ihm gesungen?«
    »Sicher hat sie. Sie sang mit jedem, der hier durchkam. Sie müssen bedenken, daß diese alte Stadt genau an der großen Straße nach Atlanta lag. Die alte Landstraße da draußen führte früher von oben hier durch direkt bis nach Florida im Süden. Es war die einzige Nord-Süd-Strecke durch Georgia. Natürlich haben Sie heute den Highway, der ohne Unterbrechung verläuft, und Sie haben Flugzeuge und so weiter. Heute ist Margrave nicht mehr wichtig, niemand kommt hier mehr durch.«
    »Also hat Blind Blake hier haltgemacht?« half ich ihm weiter. »Und Ihre Schwester hat mit ihm gesungen?«
    »Jeder machte hier halt«, fuhr er fort. »Die Nordhälfte der Stadt war eine einzige Ansammlung von Bars und Pensionen für die Durchreisenden. Das ganze Gebiet mit den schicken Gärten von hier bis zur Feuerwehr war früher mit Bars und Pensionen bebaut. Inzwischen ist alles abgerissen oder von selbst zusammengefallen. Seit sehr langer Zeit schon gibt es keinen Durchreiseverkehr mehr. Aber früher war das hier eine ganz andere Stadt. Die Leute strömten in großen Mengen rein und raus, die ganze Zeit. Arbeiter, Pflücker, Vertreter, Boxer, Landstreicher, Trucker, Musiker. Alle möglichen Musiker machten hier damals halt und spielten, und meine alte Schwester hat mit ihnen allen gesungen.«
    »Und erinnert sie sich an Blind Blake?«
    »Sicher tut sie das«, sagte der alte Mann. »Hat früher gedacht, daß er der Größte sei. Sagt, daß er wirklich flott spielte. Wirklich flott, ja.«
    »Was geschah mit ihm? Wissen Sie das?«
    Der alte Mann dachte angestrengt nach. Suchte in seinen verblassenden Erinnerungen. Er schüttelte mehrmals den ergrauten Kopf. Dann nahm er ein nasses Handtuch aus der Wärmebox und legte es über mein Gesicht. Fing an, mir die Haare zu schneiden. Schüttelte schließlich in einer endgültigen Geste den Kopf.
    »Ich kann's nicht genau sagen«, sagte er. »Er kam von Zeit zu Zeit hier durch. Ich erinnere mich ziemlich gut daran. Drei, vier Jahre später war er weg. Ich war eine Weile in Atlanta, war nicht hier, habe nichts mitgekriegt. Hörte, daß ihn jemand umgebracht hätte, vielleicht hier in Margrave, vielleicht auch nicht. Es gab irgendwie großen Ärger, und jemand brachte ihn um.«
    Ich blieb noch eine Weile sitzen und hörte Radio. Dann gab ich ihnen einen Zwanziger und eilte hinaus

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