Jack Reacher 01: Größenwahn
Rasen plauderten und in ihre Wagen stiegen. Die restliche Stadt lag immer noch da wie ausgestorben. Aber der schwarze Pick-up stand noch immer am Bordstein vor dem Drugstore. Der Fahrer starrte mich immer noch an.
Ich schlenderte in der Sonne Richtung Norden, und der Pick-up fuhr langsam neben mir her, im Schrittempo. Der Mann, immer noch vornübergebeugt, starrte zu mir herüber. Ich ging ein paar Schritte schneller, und der Wagen beschleunigte, um auf gleicher Höhe zu bleiben. Dann blieb ich plötzlich stehen, und er fuhr an mir vorbei. Ich blieb stehen. Der Mann entschied, daß Rückwärtsfahren nicht angesagt war. Er trat aufs Gas und fuhr mit aufheulendem Motor davon. Ich zuckte die Achseln und ging weiter. Kam beim Friseur an. Duckte mich unter der gestreiften Markise und versuchte, die Tür zu öffnen. Sie war nicht verschlossen. Ich ging hinein.
Wie alles in Margrave sah auch der Friseurladen wunderbar aus. Er blinkte nur so mit seinen alten Frisiersesseln und Chromarmaturen, die liebevoll poliert waren. Die Ausstattung war genau die, die man vor dreißig Jahren überall herausgerissen hatte. Und die jetzt jeder wieder haben will. Ein Vermögen wird heute dafür bezahlt, weil es das Bild vermittelt, das sich die Leute von Amerika machen möchten. Weil sie meinen, daß Amerika früher so aussah. Ich jedenfalls hatte früher gedacht, daß Amerika ganz gewiß so aussehen würde. Ich saß auf einem Schulhof in Manila oder München und stellte mir grüne Rasenflächen und Bäume, Fahnen und einen blinkenden Friseurladen mit viel Chrom wie diesen vor.
Er wurde von zwei alten Schwarzen geführt. Sie hingen einfach nur so herum. Der Laden war nicht richtig geöffnet und nicht richtig geschlossen. Aber sie deuteten an, daß sie mich bedienen würden. Warum nicht, wenn sie und ich schon mal da waren? Und ich schätze, ich sah aus wie ein dringender Fall. Ich fragte sie nach ihren Dienstleistungen. Eine Rasur, ein Haarschnitt, ein heißes Handtuch und Schuhputzen. Hier und da hingen gerahmte Titelseiten von Zeitungen an der Wand. Große Überschriften. Roosevelt gestorben, Sieg über die Japaner, JFK ermordet, Martin Luther King umgebracht. Es gab ein altes Radio aus Mahagoni, aus dem es in warmen Tönen dudelte. Die Sonntagszeitung lag frisch gefaltet auf einer Bank am Fenster.
Die beiden Alten rührten Seifenschaum in einer Schale an, schärften ein Rasiermesser und spülten einen Rasierpinsel aus. Sie hüllten mich mit Handtüchern ein und gingen an die Arbeit. Der eine rasierte mich mit einem altmodischen Rasiermesser. Der andere stand herum und tat nicht viel. Ich dachte, daß er vielleicht später ins Spiel kommen würde. Der fleißige Alte schwatzte ununterbrochen, wie Friseure das eben so tun. Erzählte mir seinen Werdegang. Die beiden waren seit ihrer Kindheit befreundet. Hatten schon immer hier in Margrave gelebt. Hatten vor dem Zweiten Weltkrieg als Friseure angefangen. Lehre in Atlanta. Machten als junge Männer einen Laden auf. Zogen in diesen um, als die alte Ortschaft abgerissen wurde. Er erzählte mir die Geschichte dieser Gegend aus der Perspektive eines Friseurs. Listete die Persönlichkeiten auf, die hier auf diesen alten Sesseln gesessen hatten. Erzählte mir von allen möglichen Leuten.
»Erzählen Sie mir etwas über die Kliners«, sagte ich.
Er war ein geschwätziger alter Bursche, aber diese Aufforderung brachte ihn zum Schweigen. Er hörte auf zu arbeiten und dachte nach.
»Bei dieser Frage kann ich Ihnen nicht helfen, soviel ist sicher«, sagte er. »Wir ziehen es vor, über dieses Thema nicht zu sprechen. Das beste ist, Sie fragen mich nach etwas völlig anderem.«
Ich zuckte unter meiner Hülle aus Handtüchern die Schultern.
»Okay«, sagte ich. »Haben Sie jemals etwas über Blind Blake gehört?«
»Von ihm habe ich gehört, ja sicher. Über diesen Mann können wir sprechen, kein Problem.«
»Großartig«, sagte ich. »Was können Sie mir also erzählen?«
»Er war von Zeit zu Zeit hier, früher. Wurde angeblich in Jacksonville, Florida, geboren, direkt hinter der Staatsgrenze. Zog immer herum, Sie wissen schon, hier durch, über Atlanta den ganzen Weg nach Norden hinauf bis nach Chicago und dann wieder den ganzen Weg zurück. Zurück durch Atlanta, zurück durch unsere Stadt, zurück nach Hause. Damals war alles ganz anders, wissen Sie. Keine Highways, keine Autos, zumindest für einen armen Schwarzen und seine schwarzen Freunde. Immer zu Fuß oder auf Güterwagen.«
»Haben
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