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Jack Reacher 01: Größenwahn

Jack Reacher 01: Größenwahn

Titel: Jack Reacher 01: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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ritzte sein Kinn. Er erstarrte schockiert. Einen Moment später floß ein dicker Strahl dunkles Blut aus dem Schnitt.
    »Was war der Grund?«
    »Es gibt nie einen Grund«, antwortete er. »Ich tue nur, was man mir sagt.«
    »Du tust, was man dir sagt?«
    »Ich tue nur, was man mir sagt«, sagte er wieder. »Ich will keine Gründe wissen.«
    »Wer hat dir also gesagt, was du tun sollst?«
    »Morrison. Morrison hat's mir gesagt.«
    »Und wer hat Morrison gesagt, was zu tun ist?« fragte ich ihn.
    Ich hielt die Klinge einen Zentimeter von seiner Wange entfernt. Er war kurz davor, vor Angst zu winseln. Ich starrte in seine kleinen Schlangenaugen. Er wußte die Antwort. Ich konnte sie sehen, weit hinten in seinen Augen. Er wußte, wer Morrison gesagt hatte, was zu tun war.
    »Wer sagte ihm, was zu tun war?« fragte ich noch einmal.
    »Ich weiß nicht«, erwiderte er. »Ich schwöre es, beim Grab meiner Mutter.«
    Ich starrte ihn eine Zeitlang an. Schüttelte den Kopf.
    »Falsch, Spivey«, sagte ich. »Du weißt es. Du wirst es mir jetzt sagen.«
    Jetzt schüttelte Spivey den Kopf. Sein großes, rotes Gesicht ruckte hin und her. Das Blut floß auf sein schwabbeliges Doppelkinn.
    »Sie bringen mich um, wenn ich das tue.«
    Ich schnellte mit dem Messer zu seinem Bauch. Schlitzte sein speckiges Hemd auf.
    »Und ich bring dich um, wenn du's nicht tust.«
    Typen wie Spivey sind ziemlich kurzsichtig. Wenn er es mir sagte, würde er morgen sterben. Wenn er es mir nicht sagte, würde er heute sterben. So war seine Denkweise. Kurzsichtig. Also setzte er an, es mir zu sagen. Sein Kehlkopf ging hoch und runter, so als wäre seine Kehle zu trocken zum Sprechen. Ich starrte ihm in die Augen. Er konnte kein Wort herausbringen. Er glich dem Typen im Film, der einen Sandberg in der Wüste hochkriecht und versucht, nach Wasser zu rufen. Aber er würde es mir sagen.
    Dann war es vorbei. Über seine Schulter hinweg sah ich in der Ferne eine Staubwolke. Dann hörte ich das schwache Brummen eines Dieselmotors. Dann erkannte ich den grauen Umriß des Gefängnisbusses. Spivey riß den Kopf herum, um seine Rettung zu sehen. Der Wachmann schlenderte heraus, um den Bus abzufangen. Spivey drehte den Kopf wieder herum, um mich anzusehen. In seinen Augen glomm tückischer Triumph. Der Bus kam näher.
    »Wer war es, Spivey?« fragte ich. »Sag es mir jetzt, oder ich komme wieder.«
    Aber er trat nur einen Schritt zurück, drehte sich um und hastete zu seinem dreckigen Ford. Der Bus fuhr dröhnend heran und überdeckte mich mit Staub. Ich ließ das Messer einschnappen und steckte es zurück in meine Tasche. Trabte hinüber zum Bentley und fuhr davon.

    Das nahende Unwetter jagte mich den ganzen Weg nach Osten zurück. Ich fühlte, daß ich mehr als einen Sturm in meinem Nacken hatte. Mir war übel vor Enttäuschung. Am Morgen hätte ich nur durch ein Gespräch mit Hubble alles wissen können. Jetzt wußte ich gar nichts. Die Situation war plötzlich umgeschlagen.
    Ich hatte keine Absicherung, keine Möglichkeiten, keine Hilfe. Ich konnte mich nicht bloß auf Roscoe und Finlay verlassen. Ich konnte nicht von ihnen erwarten, daß sie mit meinem Plan einverstanden waren. Und sie hatten selbst genug Schwierigkeiten im Polizeirevier. Was hatte Finlay gesagt? Unter den Augen des Gegners arbeiten? Und ich konnte nicht zuviel von Picard erwarten. Er hatte sich schon ziemlich weit vorgewagt. Ich konnte auf niemanden zählen, nur auf mich selbst.
    Auf der anderen Seite mußte ich mir um Gesetze, um Hemmungen oder Störfaktoren keine Sorgen machen. Ich würde nicht die Regeln beachten müssen, triftige Gründe, verfassungsmäßige Rechte. Ich würde nicht begründete Zweifel oder die Regeln der Beweisaufnahme berücksichtigen müssen. Für diese Typen gab es keine Möglichkeit zum Einspruch an höherer Stelle. War das gerecht? Aber sicher doch! Das waren üble Typen. Sie waren schon vor langer Zeit über die Grenzlinie getreten. Üble Kerle. Was hatte Finlay gesagt? Von der übelsten Sorte. Und sie hatten Joe Reacher umgebracht.
    Ich ließ den Bentley den sanften Hügel zu Roscoes Haus hinunterrollen. Hielt vor ihrem Haus auf der Straße. Sie war noch nicht zu Hause. Der Chevrolet war nicht da. Die große Chromuhr auf dem Armaturenbrett des Bentleys zeigte zehn vor sechs. Noch zehn Minuten. Ich verließ den Fahrersitz und ging zum Rücksitz. Streckte mich auf der Lederbank des großen, alten Wagens aus.
    Ich wollte für diesen Abend raus aus Margrave. Ich wollte

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