Jack Reacher 01: Größenwahn
Schlängelten uns durch Tabakfelder und überquerten den Chattahoochee auf einer alten Brücke in Franklin. Dann ein kurzer Endspurt zur Staatsgrenze. Wir waren noch vor neun Uhr in Alabama. Wir einigten uns, es auf einen Versuch ankommen zu lassen und bei der ersten Bar zu halten.
Vielleicht eine Meile später sahen wir ein altes Gasthaus. Bogen auf den Parkplatz ein und stiegen aus. Es sah okay aus. Ziemlich groß, breit und niedrig, aus geteerten Brettern. Viel Neon, viele Autos auf dem Parkplatz, und ich konnte Musik hören. Auf dem Schild an der Tür stand The Pond, sieben Tage die Woche Live-Musik ab halb zehn. Roscoe und ich nahmen uns bei der Hand und gingen hinein.
Bargeräusche, Musik aus der Jukebox und der Geruch von Bier schlug uns entgegen. Wir drängten uns nach hinten durch und entdeckten einen weiten Kreis von Nischen um eine Tanzfläche herum, hinter der sich eine Bühne befand. Die Bühne war eigentlich nur eine niedrige Plattform aus Beton. Früher war sie wahrscheinlich eine Art Ladeplatz gewesen. Die Decke war niedrig und das Licht dämmrig. Wir fanden eine leere Nische und glitten hinein. Beobachteten, wie die Band ihre Instrumente aufbaute, während wir auf die Bedienung warteten. Die Kellnerinnen flitzten herum wie Mittelfeldspieler beim Basketball. Eine sprang herüber, und wir bestellten Bier, Cheeseburger, Pommes frites und Zwiebelringe. Ziemlich rasch kam sie mit einem dünnen Tablett zurück, auf dem unsere Sachen standen. Wir aßen und tranken und bestellten dann nach.
»Was wirst du jetzt wegen Joe unternehmen?« fragte Roscoe mich.
Ich würde seinen Job zu Ende bringen. Wie auch immer der aussah. Was auch immer das kostete. So lautete die Entscheidung, die ich am Morgen in ihrem warmen Bett getroffen hatte. Aber sie war Polizistin. Sie hatte geschworen, alle möglichen Gesetze zu beachten. Gesetze, die dazu da waren, mir in die Quere zu kommen. Ich wußte nicht, was ich ihr sagen sollte. Aber sie wartete auch nicht, bis ich etwas sagte.
»Ich meine, du solltest herausfinden, wer ihn umgebracht hat«, sagte sie.
»Und dann?«
Aber weiter kamen wir nicht. Die Band fing an zu spielen. Wir konnten nicht mehr reden. Roscoe lächelte mich entschuldigend an und schüttelte den Kopf. Die Band war laut. Sie zuckte die Schultern, um sich zu entschuldigen, daß ich sie nicht mehr hören konnte. Sie bedeutete mir, daß wir später weiterreden würden, und dann wandten wir unsere Gesichter der Bühne zu. Ich wünschte, ich hätte ihre Antwort auf meine Frage gehört.
Die Bar hieß The Pond und die Band Pond Life. Sie gingen es ziemlich gut an. Das klassische Trio. Gitarre, Baß, Schlagzeug. Entschieden in Richtung Stevie Ray Vaughan. Seit Stevie Ray in seinem Hubschrauber bei Chicago ums Leben gekommen war, schien es, daß man alle weißen Männer unter vierzig in den Südstaaten zusammennehmen und die Summe durch drei teilen konnte, und das Ergebnis war dann die Anzahl der Bands, die Stevie Ray Vaughan ihren Tribut zollten. Alle machten es. Weil man nicht viel dazu brauchte. Es war egal, wie man aussah, egal, welche Ausrüstung man hatte. Man brauchte nur den Kopf zu senken und zu spielen. Die besten von ihnen konnten Stevie Rays sekundenschnelle Wechsel vom lässigen Bar Rock zum alten Texas Blues nachvollziehen.
Dieser Haufen hier war ziemlich gut. Pond Life - Leben im Tümpel. Sie wurden ihrem ironischen Namen gerecht. Der Baß und das Schlagzeug waren große, unordentliche Burschen mit vielen Haaren überall, fett und schmutzig. Der Gitarrenspieler war ein kleiner, dunkler Typ, ähnlich wie Stevie Ray selbst. Dasselbe zahnlose Grinsen. Und spielen konnte er auch. Er hatte eine schwarze Les-Paul-Kopie und einen großen Marshall-Verstärker. Guter, altmodischer Sound. Die dicken Saiten und die großen Tonabnehmer, die die alten Marshall-Röhren überlasteten, ergaben dieses glorreiche, fette, surrende Heulen, das man anders nicht kriegte.
Wir hatten viel Spaß. Wir tranken eine Menge Bier und saßen eng beieinander in unserer Nische. Dann tanzten wir eine Zeitlang. Konnten nicht widerstehen. Die Band spielte und spielte. Das Lokal wurde voll und heiß. Die Musik lauter und schneller. Die Kellnerinnen rannten mit langhalsigen Flaschen hin und her.
Roscoe sah großartig aus. Ihr Seidenhemd war feucht. Darunter trug sie nichts. Ich konnte es sehen, weil ihr die feuchte Seide auf der Haut klebte. Ich schwebte im siebten Himmel. Ich befand mich mit einer hinreißenden Frau und einer
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