Jack Reacher 01: Größenwahn
betraf, aber so ist das eben.«
Ich nickte ihm zu, als verstünde ich.
»Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen. Das wußte ich nicht. Ich wußte ja nicht mal, was er hier eigentlich genau gemacht hat.«
Ich lächelte ihn an. Versuchte, freundlich und unwissend auszusehen. Das kostete mich nicht viel Mühe, in einer Bank.
Ich versuchte mein Bestes, um aufgeschlossen zu wirken. Was einen redseligen Typen garantiert zum Sprechen bringt. Es hatte schon etliche Male vorher funktioniert.
»Er gehörte zu unserer Privatkundenabteilung. Wir haben sie geschlossen.«
Ich sah ihn fragend an.
»Privatkunden? «
»Die Geschäfte am Schalter. Sie wissen schon: Bargeld, Schecks, Kredite für Privatkunden.«
»Und Sie haben sie geschlossen? Warum?«
»Zu teuer. Hohe Kosten, niedrige Gewinnspanne. Die Abteilung mußte weg.«
»Und Hubble gehörte dazu?«
Er nickte.
»Mr. Hubble war unser Manager für Zahlungsmittel«, erklärte er. »Das war ein wichtiger Posten. Er war sehr gut.«
»Und was genau war seine Aufgabe?« fragte ich ihn.
Der Typ wußte nicht, wie er das erklären sollte. Wußte nicht, wo er anfangen sollte. Er setzte ein paarmal dazu an und gab es dann auf.
»Wissen Sie, was Bargeld ist?« fragte er schließlich.
»Ich habe etwas«, sagte ich. »Ich weiß nicht genau, ob ich weiß, was Sie meinen.«
Er stand auf und winkte mir exaltiert zu. Wollte, daß ich ihn ans Fenster begleitete. Wir sahen uns zusammen die Leute auf der Straße an, siebzehn Etagen weiter unten. Er zeigte auf einen Mann im Anzug, der den Bürgersteig entlangeilte.
»Nehmen wir diesen Gentleman«, begann er. »Stellen wir ein paar Vermutungen an, ja? Er lebt wahrscheinlich in einem Vorort, hat vielleicht ein Ferienhaus irgendwo, zwei große Hypotheken, zwei Autos, ein halbes Dutzend Anteile von Investmentfonds, eine private Lebensversicherung, ein paar Aktien, Sparpläne für die Ausbildung der Kinder, fünf oder sechs Kreditkarten bei Banken, Geschäften und so weiter. Sollen wir sagen: Nettowert etwa eine halbe Million?«
»Okay«, sagte ich.
»Aber wieviel Bargeld hat er?« fragte mich der Mann.
»Keine Ahnung.«
»Wahrscheinlich etwa fünfzig Dollar. Fünfzig Dollar in einer Lederbrieftasche für hundertfünfzig Dollar.«
Ich sah ihn an. Wußte nicht, worauf er hinauswollte. Der Mann wechselte seine Taktik. Schlug einen geduldigen Ton an.
»Die Wirtschaft der USA ist riesig«, begann er von neuem. »Netto Vermögenswerte und Nettoverbindlichkeiten sind unermeßlich groß. Billionen von Dollars. Aber fast nichts davon erscheint wirklich in Form von Bargeld. Dieser Gentleman hat einen Nettowert von einer halben Million Dollar, aber nur fünfzig davon sind wirklich Bargeld. Der gesamte Rest findet sich auf Papier oder in Computern. Tatsache ist, daß nicht viel Bargeld im Umlauf ist. Es gibt nur ungefähr hundertdreißig Milliarden Dollar Bargeld in den gesamten Vereinigten Staaten.«
Ich blickte ihn wieder achselzuckend an.
»Klingt für mich, als wäre das genug«, sagte ich.
Der Mann sah mich streng an.
»Aber wie viele Einwohner gibt es?« fragte er mich. »Fast dreihundert Millionen. Das sind nur etwa vierhundertfünfzig Dollar Bargeld pro Kopf. Und mit diesem Problem muß sich eine Bank Tag für Tag auseinandersetzen. Würde man vierhundertfünfzig Dollar abheben, wäre das eine sehr bescheidene Summe, aber wenn sich jeder dazu entschlösse, dann hätten die hiesigen Banken im Handumdrehen kein Bargeld mehr.«
Er hielt inne und sah mich an. Ich nickte.
»Okay«, sagte ich. »Das verstehe ich.«
»Und das meiste Bargeld befindet sich nicht in Banken, sondern in Las Vegas oder auf der Rennbahn. Es ist in den sogenannten bargeldintensiven Bereichen der Wirtschaft konzentriert. Also muß ein guter Manager für Zahlungsmittel, und Mr. Hubble war einer der besten, ständig mit allen Mitteln kämpfen, um nur genug Papiergeld in unserem Teil des Systems vorrätig zu haben. Er muß seine Fühler ausstrecken und danach suchen. Er muß wissen, wo man es orten kann. Er muß es aufspüren. Das ist nicht leicht. Letzten Endes war dies einer der Faktoren, die die Privatkundenabteilung so teuer für uns machten. Einer der Gründe, warum wir sie herausgenommen haben. Wir hielten sie, solange es ging, aber am Ende mußten wir die Abteilung schließen. Wir mußten Mr. Hubble gehen lassen. Und wir bedauern das sehr.«
»Irgendeine Ahnung, wo er jetzt arbeitet?«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich fürchte, nein.«
»Er muß
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