Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
Ihnen den Truck für einen Dollar ab«, erklärte er. »Passt Ihnen das nicht, brauchen Sie nur den Kopf zu schütteln, okay?«
Rutter machte keine Bewegung. Seine Augen drohten aus ihren Höhlen zu quellen, so eisern hielt Reacher seine Kehle umklammert.
»Und dann fahre ich Sie zu Ihrer Bank«, sagte Reacher. »In meinem neuen Truck. Sie heben achtzehntausend Dollar ab, und ich gebe sie den Hobies zurück.«
»Nein«, widersprach Jodie. »Neunzehntausendsechshundertfünfzig. Das Geld war in mündelsicheren Papieren angelegt. Die bringen sechs Prozent, das sind mit Zins und Zinseszins sechzehnhundertfünfzig.«
»Okay«, sagte Reacher. Er verstärkte den Druck seiner Hand. »Neunzehnsechsfünfzig für die Hobies und neunzehnsechsfünfzig für uns.«
Rutter starrte Reacher flehend an, als begreife er nicht, was das alles sollte.
»Sie haben diese armen alten Leute betrogen«, sagte Reacher. »Sie haben ihnen versprochen, das Schicksal ihres Sohnes aufzuklären. Das haben Sie nicht getan. Deshalb müssen wir’s jetzt tun. Und dafür brauchen wir Spesengeld.«
Rutter lief allmählich blau an. Seine Hände umklammerten Reachers Handgelenk, während er verzweifelt versuchte, den Druck auf seine Luftröhre zu vermindern.
»Okay?«, fragte Reacher. »Gut, dann machen wir’s so. Haben Sie irgendein Problem damit, brauchen Sie nur den Kopf zu schütteln.«
Rutter zerrte weiter an Reachers Handgelenk, aber sein Kopf bewegte sich keinen Zentimeter.
»Sie müssen das Ganze als eine Art Steuer sehen«, erklärte Reacher. »Eine Steuer auf betrügerische kleine Scheißkerle.«
Er nahm die Hand von Rutters Hals und richtete sich auf. Eine Viertelstunde später standen sie in Rutters Bank. Rutter, der seine verletzte linke Hand in der Tasche ließ, unterschrieb mit der Rechten einen Scheck. Fünf Minuten später packte Reacher neununddreißigtausenddreihundert Dollar in seine Sporttasche und zog den Reißverschluss zu. Wieder eine Viertelstunde später ließ er Rutter in der Gasse hinter der Gebäudezeile auf dem Asphalt liegend zurück. In seinem Mund steckten zwei Dollarscheine - einer für den Schalldämpfer, einer für den Geländewagen. Reacher folgte Jodie, die den Taurus zur Hertz-Filiale auf dem LaGuardia-Flughafen zurückbrachte. Kurz darauf saßen sie beide in dem neuen Lincoln und fuhren nach Manhattan zurück.
11
In Hanoi wird es volle zwölf Stunden früher dunkel als in New York, deshalb war die Sonne, die noch hoch am Himmel stand, als Reacher und Jodie die Bronx verließen, bereits hinter dem nordlaotischen Hochland zweihundert Meilen westlich des Flughafens Noi Bai untergegangen. Der Himmel leuchtete orangerot, und die langen Schatten des Spätnachmittags wichen der plötzlichen Düsterkeit einer tropischen Abenddämmerung. Die Gerüche der Großstadt und des Dschungels wurden von Kerosingestank überdeckt, und das Hupen der Autos und Summen der Nachtinsekten ging im Heulen der im Standschub laufenden Triebwerke unter.
Eine riesige Transportmaschine C-141 Starlifter der U.S. Air Force stand eine Meile von den belebten Terminals auf dem Vorfeld eines unbezeichneten Hangars. Die Heckrampe des Frachtflugzeugs war herabgelassen, und sein Hilfstriebwerk lieferte genug Strom für die grelle Innenbeleuchtung. Auch in dem anonymen Hangar brannte Licht. Hoch unter seinem Wellblechdach hingen über hundert Natriumdampflampen, die den riesigen Raum in helles, leicht gelblich gefärbtes Licht tauchten.
Der Hangar von der Größe eines Stadions enthielt nichts außer sieben Behältern. Jeder war zwei Meter lang, bestand aus glänzend poliertem Aluminiumblech mit Riefen und hatte etwa die Form eines Sarges - und genau das waren diese Behälter auch. Sie standen exakt ausgerichtet auf jeweils zwei niedrigen Böcken und waren mit einer US-Flagge bedeckt. Die Stars and Stripes waren frisch gewaschen und gebügelt, und der Mittelknick jeder Flagge lag genau auf der Mittelrille jedes Behälters.
Im Hangar hielten sich neun Männer und zwei Frauen auf. Sie standen in der Nähe der Aluminiumbehälter. Sechs der Männer waren als Ehrengarde da - Berufssoldaten der U.S. Army, frisch rasiert und in tadelloser Paradeuniform. Sie befanden sich etwas abseits der anderen fünf Personen. Drei von ihnen waren Vietnamesen, zwei Männer und eine Frau, klein, schwarzhaarig, mit ausdrucksloser Miene. Auch sie trugen Uniform, aber nur ihren schlichten Dienstanzug. Dunkelolivgrünes Tuch, abgewetzt und verknittert, mit aufgenähten
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