Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
anzustellen. Aber diesmal waren die Voraussetzungen anders. Er würde als Zivilist kommen. Das war etwas völlig anderes, als dort dienstlich und in Majorsuniform aufzutreten. Darüber war er sich im Klaren.
Für Besucher war das Personal an der Theke in der Eingangshalle zuständig. Theoretisch konnten das Archiv alle nutzen, aber seine Mitarbeiter gaben sich die größte Mühe, diese Tatsache zu vertuschen. In der Vergangenheit hatte Reacher diese Taktik vorbehaltlos gebilligt. Militärische Personalakten waren mitunter sehr aufschlussreich und mussten in striktem Kontext gelesen und interpretiert werden. Er fand es gut, dass sie, wenn möglich, der Öffentlichkeit vorenthalten wurden. Aber jetzt war er die Öffentlichkeit und fragte sich, wie er sein Ziel erreichen konnte. In Dutzenden von Archivräumen lagerten hier Millionen von Personalakten, und man musste manchmal Tage, ja sogar Wochen warten, bis etwas gefunden wurde, auch wenn das Personal den Eindruck erweckte, als tue es sein Bestes. Eine sehr überzeugende Vorstellung, die er stets ein wenig amüsiert verfolgt hatte.
Deshalb blieben Jodie und Reacher nach der Taxifahrt kurz in der heißen Sonne Missouris vor dem Archiv stehen und sprachen ihr Vorgehen nochmals ab. Dann betraten sie die Empfangshalle, in der ein großes Schild verkündete: Jeweils nur eine Akte. Sie stellten sich vor der Theke an und warteten. Die Beamtin - rundlich, Mitte vierzig, in der Uniform eines Master Sergeant - war mit irgendeiner Arbeit beschäftigt, deren einziger Zweck vermutlich darin bestand, Leute warten zu lassen. Nach einigen Minuten schob sie ihnen zwei leere Formulare hin und deutete auf einen Bleistift, der mit einem Stück Schnur an der Theke befestigt war.
Die Formulare waren Anträge auf Akteneinsicht. Jodie trug als Familiennamen Jacob ein und forderte sämtliche Informationen über Major Jack Reacher, U.S. Army Criminal Investigation Division an. Dann ließ Reacher sich den Bleistift geben und forderte sämtliche Informationen über Generalleutnant Leon Jerome Garber an. Er legte die ausgefüllten Formulare der Sergeantin hin, die einen Blick darauf warf und sie in den Ausgangskorb legte. Sie drückte auf einen Klingelknopf neben sich und vertiefte sich wieder in ihre Arbeit. Die Idee war, dass irgendein Gefreiter das Klingelzeichen hören und sich die Anforderungen holen würde, um mit der langwierigen Suche im Archiv zu beginnen.
»Wer ist heute Chef vom Dienst?«, fragte Reacher.
Das war eine direkte Frage. Die Sergeantin suchte eine Möglichkeit, sie nicht beantworten zu müssen, konnte aber keine finden.
»Major Theodore Conrad«, antwortete sie widerstrebend.
Reacher nickte. Conrad? Kein Name, an den er sich erinnern konnte.
»Sagen Sie ihm bitte, dass wir ihn kurz sprechen möchten? Und lassen Sie die angeforderten Akten bitte in sein Dienstzimmer bringen?«
Sein Tonfall war eine Mischung aus einer freundlichen, höflichen Bitte und einem unausgesprochenen Befehl. Im Umgang mit Master Sergeants hatte dieser Tonfall sich stets bewährt. Die Frau nahm wortlos den Hörer ihres Telefons ab und rief den Chef vom Dienst an.
»Er schickt jemanden, der Sie raufbringt«, sagte sie, als wundere sie sich darüber, dass Conrad ihnen diesen großen Gefallen tat.
»Nicht nötig«, meinte Reacher. »Ich weiß, wo sein Dienstzimmer ist. Ich bin nicht zum ersten Mal hier.«
Er führte Jodie die breite Treppe in den ersten Stock hinauf, in dem das geräumige Büro des Chefs vom Dienst lag. Major Theodore Conrad erwartete sie an der Tür. Er trug Sommeruniform mit einem Namensschild aus schwarzem Kunststoff über der rechten Brusttasche. Conrad wirkte auf den ersten Blick ganz freundlich, schien aber mit seinem Posten nicht recht zufrieden zu sein. Er war etwa Mitte vierzig, und wer mit diesem Alter noch Major im NPRC war, hatte nicht gerade eine Blitzkarriere gemacht. Während er sie an der Tür begrüßte, kam ein Gefreiter mit zwei dicken Aktenordnern den Flur entlanggetrabt. Reacher lächelte in sich hinein. Das war Firstclass-Service. Wollte das NPRC schnell sein, konnte es das auch. Der Major nahm die Ordner entgegen und ließ den Gefreiten wegtreten.
»Nun, was kann ich für Sie tun?«, wollte Conrad wissen. Seine Stimme klang durchaus zuvorkommend.
»Nun, wir brauchen Ihre volle Unterstützung, Major«, antwortete Reacher. »Und wir hoffen, dass Sie sie uns gewähren werden, sobald Sie diese Akten gelesen haben.«
Conrad warf einen Blick auf die beiden
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