Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
auf deinem Handy angerufen«, verkündete er. »Ich glaube, er war leicht schockiert, als ich mich gemeldet habe.«
Jodie kicherte. »Nun, damit ist mein guter Ruf dahin. Bis zum Lunch weiß das ganze Büro davon. Was wollte er?«
»Du musst nach New York zurück.«
»Warum? Hat er dir das gesagt?«
»Nein, er war sehr korrekt, sehr reserviert, wie es ein guter Sekretär vermutlich sein muss. Aber du bist als Anwältin offenbar ein Ass. Deine Dienste sind sehr gefragt.«
Sie lachte. »Ich bin die Beste von allen. Hab ich dir das nicht schon gesagt? Wer braucht mich also?«
»Irgendjemand hat deine Firma angerufen. Irgendeine Finanzgruppe. Sie hat ausdrücklich nach dir gefragt. Vermutlich, weil du die Beste von allen bist.«
Sie nickte lächelnd. »Hat er erwähnt, um welches Problem es sich handelt?«
Er zuckte mit den Schultern. »Wieder das Übliche, nehme ich an. Irgendwer schuldet irgendwem Geld, deswegen gibt’s anscheinend Zoff. Du sollst morgen Nachmittag an einer Besprechung teilnehmen und versuchen, die streitenden Parteien zur Vernunft zu bringen.«
Zu den Zehntausenden von Telefongesprächen, die in der selben Minute von der Wall Street aus geführt wurden, gehörte auch ein Anruf der Anwaltsfirma Forster und Abelstein bei dem Privatdetektiv William Curry. Nach zwanzig Dienstjahren als Kriminalbeamter im NYPD war Curry mit siebenundvierzig in Pension gegangen und wollte sich das Geld für die fälligen Unterhaltszahlungen als Privatdetektiv verdienen, bis seine Exfrau wieder heiratete oder starb oder ihn vergaß. Er war seit zwei Jahren im mageren Geschäft, und ein persönlicher Anruf vom Seniorpartner einer angesehenen Anwaltsfirma in der Wall Street bedeutete einen Durchbruch. Curry hatte zwei Jahre lang zu vernünftigen Preisen gute Arbeit geleistet, um dadurch einen gewissen Ruf zu erlangen - und wenn der sich endlich verbreitete und nun die wichtigen Klienten bei ihm anriefen, nahm er das mit Freude zur Kenntnis, ohne darüber erstaunt zu sein.
Aber er staunte über die Art des Auftrags.
»Ich soll mich für Sie ausgeben?«, wiederholte er.
»Genau«, bestätigte Forster. »Diese Leute erwarten einen Anwalt namens David Forster, deshalb muss dort einer auftreten. Mit einem Eingreifen der Polizei ist nicht zu rechnen. Ich erwarte überhaupt keine Probleme. Allein Ihre Anwesenheit dürfte genügen, damit alles in geordneten Bahnen verläuft. Die Sache müsste glatt und ohne Schwierigkeiten über die Bühne gehen, okay?«
»Wenn Sie meinen«, sagte Curry. Er notierte sich die Namen der Beteiligten und die Anschrift der Firma, bei der er als David Forster auftreten sollte. Als Honorar nannte er das Doppelte seines üblichen Stundensatzes. Er wollte nicht billig wirken, nicht vor diesen Wall-Street-Leuten. Denen imponierten nur teure Dienstleistungen. Das wusste er. Und angesichts der Art dieses Auftrags würde er sich das Geld wohl auch zu Recht verdienen. Forster war ohne zu zögern einverstanden und versprach ihm, noch heute einen Scheck als Vorschuss abzuschicken. Curry legte auf, ging in Gedanken seinen Kleiderschrank durch und fragte sich, was er anziehen könnte, um wie der Seniorpartner einer Anwaltsfirma in der Wall Street auszusehen.
13
Die Flugstrecke von St. Louis nach Dallas-Fort Worth ist neunhundertzehn Kilometer lang, und der Morgenflug dauert anderthalb Stunden: eine halbe Stunde Steigflug, eine halbe Stunde Reiseflug und eine halbe Stunde Sinkflug mit anschließender Landung. Reacher und Jodie saßen in der Business Class, diesmal auf der linken Seite und zwischen einer ganz anderen Klientel als beim Flug von New York nach St. Louis. Auf den meisten Plätzen saßen texanische Geschäftsleute, die zu Kammgarnanzügen in Blau- und Grautönen Stiefel aus Alligatorleder und breitkrempige Stetsons trugen. Sie waren größer, robuster und lauter als ihre Kollegen von der Ostküste und hielten die Stewardessen mehr auf Trab. Jodie trug ein ärmelloses, rostbraunes Kleid, und die Männer starrten sie heimlich bewundernd an und wichen Reachers Blick aus. Er hatte die verknitterte Khakihose und seine zehn Jahre alten englischen Stiefel an und sah, dass sie versuchten, ihn einzuordnen. Vielleicht hielten sie ihn für einen Cowboy, der das große Los gezogen hatte. Er ignorierte sie, trank Kaffee und überlegte, wie er nach Fort Wolters hineingelangen und DeWitt zum Reden bringen konnte.
Ein Militärpolizist, der versucht, einen Zweisternegeneral zum Reden zu bringen, gleicht
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