Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
angesengt und gekräuselt, und auf der geröteten Haut bildete sich bereits eine Brandblase. Er machte einen Finger nass, betastete sie vorsichtig und verzog das Gesicht.
»Wer sich mit mir anlegt, hat nichts zu lachen.«
Sie starrte ihn an. »Du bist wirklich unglaublich, weißt du das? Genauso schlimm wie Dad. Wir sollten zur Polizei gehen, Reacher.«
»Geht nicht«, sagte er. »Sie würde mich einlochen.«
»Wir sollten’s tun«, wiederholte sie.
Aber das klang schon schwächer. Er schüttelte den Kopf, ohne etwas zu antworten. Beobachtete sie genau. Jodie war Anwältin - aber sie war auch Leons Tochter und wusste, wie die Dinge in der realen Welt funktionierten. Sie schwieg längere Zeit, dann schüttelte sie hilflos den Kopf und legte eine Hand auf ihr Brustbein, als schmerze es.
»Alles in Ordnung?«, fragte er sie.
»Du hast nicht schlecht hingelangt«, antwortete sie.
Streicheln könnte ich dich besser, dachte er.
»Wer waren diese Typen?«, fragte sie.
»Die beiden haben Costello ermordet«, erwiderte er.
Jodie nickte. Dann seufzte sie. Ihre blauen Augen sahen nach links und rechts
»Also, wohin sind wir unterwegs?«
Reacher entspannte sich. Er lächelte sogar. »Wo suchen sie uns zuallerletzt?«
Sie zuckte mit den Schultern. Nahm die Hand vom Brustbein und strich damit ihr Haar glatt.
»Manhattan?«
»Im Haus«, sagte er. »Sie haben gesehen, dass wir abgehauen sind. Sie werden nie auf die Idee kommen, wir könnten kehrtmachen.«
»Du bist verrückt, weißt du das?«
»Wir brauchen den Koffer. Vielleicht hat Leon sich Notizen gemacht.«
Sie schüttelte benommen den Kopf.
»Und wir müssen wieder alles abschließen. Wir dürfen die Garage nicht offen stehen lassen. Sonst quartieren sich dort noch Waschbären ein. Ganze Familien von denen.«
Dann hob er warnend eine Hand. Legte den Zeigefinger auf die Lippen. Sie hörten einen Motor anspringen. Anscheinend ein großer V-8, etwa hundertfünfzig Meter entfernt. Im nächsten Augenblick war das Knirschen großer Reifen auf dem Kies der Einfahrt zu hören. Ein Brummen, als der Fahrer Gas gab. Dann huschte ein schwarzer Schatten durch ihr Gesichtsfeld. Ein großer Geländewagen mit Alufelgen. Ein Yukon oder Tahoe, je nachdem, ob am Heck GMC oder Chevrolet stand. Vorn im Wagen zwei Kerle, dunkle Anzüge, einer am Steuer, der andere auf dem Beifahrersitz zusammengesunken. Reacher streckte seinen Kopf ganz aus dem Fenster und lauschte auf das Motorengeräusch, bis es in Richtung Garrison verklang.
Chester Stone wartete über eine Stunde lang in seinem eigenen Büro, dann rief er unten an und ließ den Finanzdirektor bei der Bank nach dem Kontostand ihres Girokontos fragen. Vor fünfzig Minuten hatte eine auf den Bahamas residierende Treuhandgesellschaft durch ihr Büro auf den Cayman Islands telegrafisch eins Komma eine Million Dollar überweisen lassen.
»Das Geld ist da«, sagte der Finanzmensch, »Sie haben’s geschafft, Boss.«
Stone hielt den Hörer umklammert und fragte sich, was er eigentlich geschafft hatte.
»Ich komme gleich runter«, sagte er. »Will mir die Zahlen noch mal ansehen.«
»Die Zahlen sind in Ordnung«, beruhigte ihn der Finanzdirektor. »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen.«
»Ich komme trotzdem runter«, meinte Stone.
Er fuhr zwei Stockwerke mit dem Lift nach unten und betrat das luxuriöse Büro des Finanzdirektors. Gab das Kennwort ein und rief das Arbeitsblatt mit der geheimen Bilanz auf. Dann zog der Finanzmensch die Tastatur zu sich heran und tippte den letzten Stand ihres Girokontos ein. Die Software rechnete neu und wies dann für den Stichtag in sechs Wochen eine exakt ausgeglichene Bilanz aus.
»Sehen Sie?«, sagte der Finanzdirektor. »Bingo!«
»Was ist mit den Zinsen?«, wollte Stone wissen.
»Elf Mille pro Woche für sechs Wochen? Ziemlich happig, finden Sie nicht auch?«
»Können wir sie zahlen?«
Der andere nickte zuversichtlich. »Klar können wir das. Wir sind zwei Lieferanten dreiundsiebzig Mille schuldig. Das Geld liegt zur Überweisung bereit. ›Verlegen‹ wir die Rechnungen und fordern sie von den Firmen erneut an, können wir dieses Geld erst mal anders verwenden.«
Er tippte auf den Bildschirm, um Stone die Rückstellung für eingegangene Rechnungen zu zeigen.
»Zieht man von dreiundsiebzig Mille sechsmal elf Mille pro Woche ab, bleiben uns sieben übrig. Davon sollten wir ein paar Mal zum Abendessen ausgehen.«
»Lassen Sie’s noch mal durchrechnen, okay?«, bat Stone.
Weitere Kostenlose Bücher