Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
»Zur Kontrolle.«
Der andere hob die Augenbrauen, ließ die Software aber erneut rechnen. Er subtrahierte die eins Komma eine Million, geriet damit in die roten Zahlen, addierte sie wieder und kam auf ein ausgeglichenes Ergebnis. Dann löste er die Rückstellung für Schulden bei Lieferanten auf, zog für jeweils sieben Tage elftausend Dollar ab und wies nach sechs Wochen einen Überschuss von siebentausend Dollar aus.
»Knapp«, sagte er. »Aber immerhin sind wir im Plus.«
»Wie zahlen wir den Kredit zurück?«, fragte Stone. »Nach sechs Wochen müssen wir eins Komma eine Million zur Verfügung haben.«
»Kein Problem«, sagte der Finanzdirektor. »Ich habe alles genau geplant. Das Geld ist rechtzeitig da.«
»Zeigen Sie’s mir, okay?«
»Also gut, sehen Sie hier?« Er tippte auf zwei Zeilen auf dem Monitor, die Außenstände betrafen. »Diese beiden Großhändler schulden uns eins Komma eins-sieben-drei Millionen, was zufällig exakt dem Darlehensbetrag und den ›verlegten‹ Rechnungen entspricht. Und diese Rechnungen sind in genau sechs Wochen fällig.«
»Zahlen sie rechtzeitig?«
Der andere zuckte mit den Schultern. »Nun, bisher haben Sie’s immer getan.«
Stone starrte den Bildschirm an. Sein Blick wanderte von oben nach unten, von links nach rechts.
»Rechnen Sie alles noch mal nach. Zur Sicherheit.«
»Kein Grund zur Sorge, Boss. Die Zahlen stimmen.«
»Machen Sie’s einfach, ja?«
Der Finanzmensch nickte. Schließlich war dies Stones Firma. Er ließ die Berechnung nochmals laufen und kam zum selben Ergebnis wie zuvor. Hobies eins Komma eine Million wurde von den Gehaltsschecks verschlungen, die beiden Lieferanten gingen vorerst leer aus, die Zinsen wurden gezahlt, die Zahlungen der Großhändler gingen ein, Hobie erhielt seine eins Komma eine Million zurück, die Lieferanten bekamen ihr Geld mit Verspätung, und zuletzt wies die Bilanz wieder einen lächerlich geringen Überschuss von siebentausend Dollar aus.
»Kein Grund zur Sorge«, wiederholte der Finanzdirektor. »Wir kommen hin.«
Während er die Zahlen auf dem Bildschirm anstarrte, fragte Stone sich, ob die überschüssigen siebentausend Dollar reichen würden, um Marilyn eine Europareise zu finanzieren. Vermutlich nicht. Jedenfalls keine sechswöchige Reise. Und sein Vorschlag hätte sie aufgeschreckt und beunruhigt. Sie hätte ihn gefragt, weshalb er sie nach Europa schickte. Und er hätte es ihr erzählen müssen. Sie war verdammt clever. Clever genug, um es irgendwie aus ihm rauszukriegen. Und dann hätte sie sich geweigert, nach Europa zu reisen - und hätte in den kommenden sechs Wochen ebenfalls jede Nacht wach gelegen.
Der Lederkoffer lag noch auf dem Rasen vor dem Haus. In einem der Seitenteile war ein Einschussloch zu sehen, aber es gab kein Ausschussloch. Die Kugel musste das Leder und den stabilen Sperrholzrahmen durchschlagen haben und in Leons Papieren stecken geblieben sein. Reacher lächelte zufrieden und trug ihn zu Jodie, die vor der Garage wartete.
Sie ließen den Bravada auf dem Vorplatz stehen und gingen durch die Garage ins Haus zurück. Schlossen das Schwingtor von innen und traten in den Durchgang hinaus. Sperrten die Seitentür der Garage mit dem grünen Schlüssel ab und liefen in die Küche hinüber. Schlossen auch diese Tür ab und kamen in der Diele an Jodies Reisetasche vorbei, die ihr aus der Hand gefallen war. Reacher trug den Koffer ins Wohnzimmer. Dort gab es mehr Licht und Platz als im Arbeitszimmer.
Er klappte den Kofferdeckel auf, nahm die Hängemappen heraus und legte sie auf den Fußboden. Die Kugel rutschte aus dem Papier und kullerte über den Teppich. Ein gewöhnliches Neunmillimeter-Parabellumgeschoss mit Kupfermantel. Von dem Sperrholzrahmen vorn leicht stumpf, aber ansonsten ohne Markierungen. Das Papier hatte es erst nach gut vierzig Zentimetern abgebremst. Reacher konnte sehen, dass das Geschoss sich durch etwa die Hälfte der Mappen gebohrt hatte.
Er wog es prüfend in der Hand, dann sah er, dass Jodie ihn von der Tür aus beobachtete. Er warf ihr die Kugel zu. Jodie fing sie mit einer Hand auf.
»Souvenir«, sagte er.
Sie jonglierte damit, als sei die Kugel heiß, und ließ sie in den offenen Kamin fallen. Kniete sich dann vor den Papieren neben ihn auf den Teppich, sodass ihre Hüften sich fast berührten. Ein Hauch von Parfüm stieg ihm in die Nase: ein ihm unbekannter, sehr femininer Duft. Das Sweatshirt war ihr zu groß, weit und formlos, aber es betonte ihre Figur
Weitere Kostenlose Bücher