Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
versucht, wissen Sie. Wir brauchen jemanden, der Verbindungen zur Army hat. Trotzdem vielen Dank für Ihr Angebot. Das war sehr nett von Ihnen.«
»Es gibt noch jemanden«, bemerkte Jodie rasch. »Er sitzt gerade neben mir. Er hat in der Army lange mit meinem Vater zusammengearbeitet. Er wäre bereit, Ihnen zu helfen, wenn er kann.«
Schweigen. Nur das leise Summen und die Atemzüge der alten Frau. Als denke sie angestrengt nach. Als brauche sie Zeit, um sich auf eine veränderte Situation einzustellen.
»Er heißt Major Reacher«, sagte Jodie in die Stille hinein. »Vielleicht hat mein Vater von ihm gesprochen? Die beiden waren viele Jahre gemeinsam beim Militär. Mein Vater hat nach ihm geschickt, als ihm klar wurde, dass er nicht mehr lange würde weitermachen können.«
»Er hat nach ihm geschickt?«, wiederholte die Frau.
»Ja, ich denke, mein Vater hat sich vorgestellt, er könnte kommen und ihn sozusagen ablösen, Sie wissen schon, Ihnen weiter behilflich sein.«
»War dieser neue Mann auch bei der Militärpolizei?«
»Ja. Ist das wichtig?«
»Weiß ich nicht genau«, sagte Mrs. Hobie.
Sie verstummte wieder. Aus dem Hörer drangen nur schwere Atemzüge.
»Kann er uns hier besuchen?«, fragte sie plötzlich.
»Wir kommen beide«, antwortete Jodie. »Wär’s Ihnen recht, wenn wir sie gleich besuchen?«
Wieder eine Pause. Mrs. Hobie atmete, dachte nach.
»Mein Mann hat gerade seine Medizin eingenommen«, sagte sie. »Er schläft jetzt. Er ist sehr krank, wissen Sie.«
Jodie nickte am Telefon. Öffnete und schloss frustriert ihre freie Hand.
»Mrs. Hobie, können Sie uns nicht erzählen, worum es bei dieser Sache geht?«
Schweigen. Atmen, nachdenken.
»Das soll Ihnen lieber mein Mann sagen. Ich denke, er kann’s besser erklären als ich. Das ist eine lange Geschichte, und ich bringe sie manchmal durcheinander.«
»Okay, wann ist er wieder wach?«, fragte Jodie. »Sollen wir etwas später vorbeischaun?«
Erneut eine Pause.
»Er schläft meistens durch, wenn er seine Medizin genommen hat«, erklärte die alte Frau. »Eigentlich ein Segen. Kann der Freund Ihres Vaters gleich morgen früh kommen?«
Hobie benutzte die Spitze seines Hakens, um die Sprechtaste der Gegensprechanlage auf seinem Schreibtisch zu drücken. Beugte sich nach vorn und sprach mit dem Rezeptionisten. Er redete den Kerl mit seinem Vornamen an, was eine für Hobie ungewöhnliche Vertraulichkeit war, die im Allgemeinen durch Stress verursacht wurde.
»Tony«, sagte er. »Wir müssen miteinander reden.«
Tony kam von der Empfangstheke im Vorzimmer herein und setzte sich Hobie gegenüber aufs mittlere Sofa.
»Garber war der Kerl, der nach Hawaii geflogen ist«, sagte er.
»Weißt du das bestimmt?«, fragte Hobie ihn.
Tony nickte. »American Airlines. White Plains nach Chicago, Chicago nach Honolulu, fünfzehnter April. Rückflug am nächsten Tag, sechzehnter April, gleiche Route. Mit American Express bezahlt. Ist alles in ihrem Computer.«
»Aber was hat er dort gewollt?«, fragte Hobie, fast als spreche er mit sich selbst.
»Das wissen wir nicht«, murmelte Tony. »Aber wir können es uns denken, oder?«
Danach herrschte sorgenvolles Schweigen. Tony beobachtete die unverbrannte Hälfte von Hobies Gesicht, wartete auf eine Reaktion.
»Ich habe aus Hanoi gehört«, sagte Hobie in die Stille hinein.
»Mein Gott, wann?«
»Vor zehn Minuten.«
»O Gott, Hanoi!«, sagte Tony »Scheiße, Scheiße, Scheiße.«
»Dreißig Jahre«, meinte Hobie. »Und jetzt ist’s passiert.«
Tony stand auf und trat ans Fenster. Spreizte seine Finger, um zwei Lamellen der Jalousie auseinander zu drücken. Ein Streifen Nachmittagssonne fiel in den Raum.
»Jetzt musst du wirklich abhauen. Die Sache ist viel zu gefährlich geworden.«
Hobie sagte nichts. Er umklammerte den Haken mit den Fingern der linken Hand.
»Du hast’s versprochen«, sagte Tony drängend. »Schritt eins, Schritt zwo. Und sie sind passiert. Jetzt sind beide Schritte passiert, verdammt noch mal!«
»Sie werden trotzdem einige Zeit brauchen«, wandte Hobie ein. »Hab ich Recht? Im Augenblick wissen sie noch gar nichts.«
Tony schüttelte den Kopf. »Garber war kein Idiot. Er hat irgendetwas gewusst. Für seine Hawaiireise muss er gute Gründe gehabt haben.«
Hobie setzte die Muskeln seines linken Arms ein, um den Haken an sein Gesicht zu führen. Er ließ den glatten, kalten Stahl über das Narbengewebe gleiten. Manchmal konnte diese Berührung das schmerzhafte
Weitere Kostenlose Bücher