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Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht

Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht

Titel: Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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abscheuliche Verrat hätte Jodie wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Abstoßend, unwillkommen.
    Sie ist auf der anderen Seite der Wand. Aber daran konnte er nichts ändern. Nichts. Es würde nie dazu kommen. Er wusste, dass dieser Gedanke ihn zum Wahnsinn treiben würde, deshalb zwang er sich, an etwas anderes zu denken. An Dinge, die wirklich existierten, nicht bloß Illusionen waren. Zum Beispiel an die beiden Kerle, wer sie auch sein mochten. Sie würden inzwischen Jodies Adresse herausgefunden haben und konnten in diesem Moment unten vor dem Haus stehen. Reacher ging das Gebäude in Gedanken durch. Glastür zur Straße, abgesperrt. Tür zur Tiefgarage, abgesperrt. Wohnungstür, abgesperrt und verbarrikadiert. Fenster und Jalousien, alle geschlossen. Heute Nacht konnte ihnen nichts mehr passieren. Aber der kommende Morgen würde gefährlich werden. Vielleicht sehr gefährlich. Während Reacher einschlief, konzentrierte er sich in Gedanken auf die beiden Männer. Ihren Wagen, ihre Anzüge, ihren Körperbau, ihre Gesichter.

    In genau diesem Augenblick hatte jedoch nur mehr einer der beiden Männer ein Gesicht. Sie waren miteinander zu einer Stelle zehn Meilen südlich von dem Gebäude, in dem Reacher lag, in die dunklen Gewässer des New Yorker Hafens hinausgefahren, hatten gemeinsam den Reißverschluss des Leichensacks aus gummiertem Gewebe aufgezogen und die starre Leiche der Sekretärin in die ölige Atlantikdünung gleiten lassen. Der eine Kerl hatte sich mit einer flapsigen Bemerkung nach dem anderen umgedreht, der ihm mit einer Beretta mit Schalldämpfer mitten ins Gesicht schoss. Dann noch mal und noch mal. Durch sein langsames Zusammensacken trafen alle drei Schüsse verschiedene Stellen. Sein Gesicht war eine einzige tödliche Wunde, schwarz in der Dunkelheit. Sein rechter Arm wurde über die Mahagonireling gezogen, die Hand mit einem aus einem Restaurant gestohlenen Hackbeil abgetrennt. Dafür waren fünf Hiebe nötig - eine blutige, brutale Arbeit. Die Hand kam in eine Plastiktüte, und die Leiche glitt keine zwanzig Meter von der Stelle entfernt, wo die Sekretärin bereits versank, lautlos ins nachtschwarze Wasser.

7
    An diesem Morgen wachte Jodie früh auf, was für sie ungewöhnlich war. Normalerweise schlief sie fest, bis ihr Wecker klingelte, dann kroch sie langsam und verschlafen aus dem Bett und schleppte sich ins Bad. Aber an diesem Morgen war sie schon eine Stunde vor dem Wecker wach.
    Das Schlafzimmer war weiß wie alle Räume ihrer Wohnung. Ein großes französisches Bett mit weißem Holzgestell stand mit dem Kopfende an der Wand gegenüber dem Fenster. Das Gästezimmer war ebenso, aber spiegelbildlich eingerichtet. Das bedeutete, dass sein Kopf nicht mal einen halben Meter von ihrem entfernt lag. Nur durch eine Wand von ihrem getrennt.
    Sie wusste, woraus diese Zwischenwand bestand. Sie hatte das Apartment vor der Fertigstellung gekauft und war monatelang dort ein und aus gegangen, um den Umbau zu überwachen. Die Wand zwischen den beiden Schlafzimmern war eine hundert Jahre alte Originalwand. Auf dem Fußboden lag ein massiver Tragbalken, über dem eine Ziegelwand bis zur Decke hochgezogen war. Die damaligen Maurer hatten die Ziegel einfach ausgebessert, wo ein Stück fehlte, und sie nach europäischer Manier beidseitig verputzt. Der Architekt hatte ihr geraten, die Originalwand stehen zu lassen, weil sie feuerhemmender und schalldämmender als eine Gasbetonwand war. Aber so bildete sie eine dreißig Zentimeter dicke Trennwand aus Putz und Ziegeln und Putz zwischen Reacher und ihr.
    Sie liebte ihn. Das stand für sie außer Zweifel. Völlig außer Zweifel. Sie hatte ihn schon immer geliebt, von Anfang an. Aber war das richtig? War es okay, ihn zu lieben, wie sie es tat? Diese Frage hatte sie schon oft gequält. Vor vielen, vielen Jahren hatte sie deswegen nächtelang wach gelegen. Sie hatte sich ihrer Gefühle geschämt. Der neunjährige Altersunterschied zwischen ihnen war obszön. Schändlich. Das wusste sie. Eine Fünfzehnjährige durfte einen Offizierskameraden ihres Vaters nicht lieben. Nach dem in der Army herrschenden Kodex war das praktisch inzestuös. Nicht anders, als liebte sie einen Onkel. Nicht viel anders, als begehrte sie ihren eigenen Vater. Aber sie liebte ihn. Das stand fest.
    Sie war mit ihm zusammen, wann immer sie konnte, redete mit ihm, berührte ihn. Sie besaß einen Abzug des Selbstauslöserfotos aus Manila, auf dem sie seine Taille mit einem Arm umschlang.

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