Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
Einmündungen der zweiten, dritten und vierten Querstraße südlich von hier. Eine davon würde es sein.
»Fertig!«, rief Jodie hinter ihm.
Sie fuhren die neunundachtzig Stockwerke in die Tiefgarage hinunter. Gingen übers Parkdeck und zu den Abstellplätzen, die Hobie samt seiner Bürosuite gemietet hatte.
»Wir sollten den Suburban nehmen«, sagte der Kerl. »Größer.«
»Okay«, stimmte Tony zu. Er sperrte den Wagen auf und glitt hinters Lenkrad. Der Kerl stieg neben ihm ein, warf einen Blick nach hinten auf die leere Ladefläche. Tony ließ den Motor an und fuhr langsam in Richtung Ausfahrtsrampe.
»Wie machen wir’s also?«, wollte Tony wissen.
Der Kerl grinste. »Ganz einfach. Sie geht den Broadway nach Süden entlang. Wir warten im Auto in einer Querstraße, bis sie auftaucht. Ein paar Blocks südlich ihrer Wohnung. Wir sehen sie auf dem Fußgängerübergang, fahren um die Ecke, halten neben ihr, und das war’s dann, richtig?«
»Falsch«, sagte Tony »Wir machen’s anders.«
Der Kerl sah ihn an. »Warum?«
Tony ließ den großen Geländewagen mit quietschenden Reifen die Rampe hinauf ins Sonnenlicht rasen.
»Weil du nicht besonders helle bist«, sagte er. »Wäre das deine Methode, muss es eine bessere geben, oder? Du hast in Garrison Scheiße gebaut. Du würdest hier wieder Scheiße bauen. Sie hat wahrscheinlich diesen Kerl, diesen Reacher, bei sich. Er war dir dort über, er wäre dir hier über. Deshalb ist alles, was du als beste Methode vorschlägst, genau das, was wir garantiert nicht tun werden.«
»Wie wollen wir’s also machen?«
»Pass gut auf, dann erklär ich’s dir«, sagte Tony »Ich will versuchen, mich möglichst einfach auszudrücken.«
Reacher zog das Fenster wieder zu, verriegelte es und ließ die Jalousie herunter. Jodie stand hinter ihm in der Diele - mit noch leicht feuchtem Haar, in einem schlichten ärmellosen Leinenkleid, ihre nackten Füße in Sandalen. Das Kleid hatte die gleiche Farbe wie ihr feuchtes Haar. Sie trug eine Handtasche und einen Pilotenkoffer. Jetzt stellte sie ihn ab und bückte sich nach der Reisetasche, die unter dem Spiegel stand, wo Reacher sie am Vorabend abgestellt hatte. Sie zog den Umschlag mit Leons Testament heraus, ließ die Schlösser des Pilotenkoffers aufschnappen und steckte den Umschlag hinein.
»Soll ich ihn tragen?«, fragte er.
Sie schüttelte lächelnd den Kopf.
»Das lässt die Gewerkschaft nicht zu«, sagte sie. »In New York dürfen Leibwächter kein Gepäck tragen.«
»Sieht ziemlich schwer aus«, sagte er.
»Ich bin jetzt schon ein großes Mädchen«, meinte sie und sah zu ihm auf.
Er nickte. Hob die Stahlstange aus der Halterung und ließ sie senkrecht stehen. Jodie beugte sich vor und sperrte die Schlösser auf. Wieder ihr Parfüm, dezent und feminin.
»Welche Art Recht hast du da drin?«, fragte er.
»Wirtschaftsrecht«, erwiderte sie.
Reacher öffnete langsam die Tür. Sah hinaus. Der Korridor war leer. Die Liftanzeige ließ erkennen, dass jemand aus dem zweiten Stock nach unten unterwegs war.
»Was für Wirtschaftsrecht?«
Sie gingen zum Aufzug, und er drückte auf den Rufknopf.
»Vor allem Umschuldungen«, antwortete sie. »Ich bin eigentlich mehr Vermittlerin als Anwältin. Mehr Beraterin oder Schlichterin, weißt du?«
Er wusste es nicht. Er hatte noch nie Schulden gehabt. Nicht aus Tugendhaftigkeit, sondern weil sich keine Gelegenheit dazu geboten hatte. Was er zum Leben brauchte, hatte alles die Army gestellt. Kleidung, ein Dach über dem Kopf, das Essen auf dem Teller. Er hatte nie nach mehr gestrebt. Doch er kannte Kameraden, die in finanzielle Schwierigkeiten gekommen waren. Sie kauften Häuser mit Hypothekenfinanzierung und Autos auf Raten. Manchmal gerieten sie mit ihren Zahlungen in Rückstand. Dann griff der Stabszahlmeister ein. Verhandelte mit der Bank, zog die Monatsraten gleich vom Sold des Betreffenden ab. Aber er vermutete, dass das Peanuts im Vergleich zu den Summen waren, mit denen sie umging.
»Millionen Dollar?«, fragte er.
Der Aufzug kam. Die Türen gingen auf.
»Mindestens«, sagte Jodie. »Meistens zweistellige Millionenbeträge, manchmal Hunderte von Millionen.«
Der Aufzug war leer. Sie traten in die Kabine.
»Spaß dabei?«, fragte er.
Der Aufzug surrte nach unten.
»Klar«, sagte sie. »Wer arbeiten muss, kann kaum einen besseren Job kriegen.«
Der Aufzug hielt mit einem leichten Ruck.
»Bist du in deinem Beruf gut?«
Sie nickte.
»Ja«, sagte sie einfach. »Die
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