Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
Hubschrauber war sechs oder sieben Jahre vor ihrer Geburt abgeschossen worden, und den Vietnamkrieg kannte sie nur aus dem Geschichtsunterricht.
Es war noch viel zu früh, um direkt in die Wall Street zurückzufahren. Jodie hatte sieben Uhr gesagt. Also musste er sich noch mindestens zwei Stunden die Zeit vertreiben. Er setzte sich in den Taurus und schaltete die Lüftung ein, um die Hitze zu vertreiben. Dann strich er die Straßenkarte auf der Ledermappe glatt und fuhr mit dem Zeigefinger die Strecke nach, die er von Brighton aus fahren wollte. Auf der Route 9 zum Bear Mountain Parkway, auf ihm nach Osten zum Taconic Parkway und dann nach Süden zum Sprain Parkway, der ihn zum Bronx River Parkway bringen würde. Dieser Parkway führte zum Botanischen Garten New Yorks, den er noch nie gesehen hatte und auf den er nun gespannt war.
Marilyn bekam ihren Lunch kurz nach drei Uhr. Sie hatte die Arbeit der Gebäudereiniger kontrolliert, bevor die Kolonne wieder abzog, und war sehr zufrieden damit. Für den Teppichboden in der Diele hatten sie einen Dampfreiniger benutzt - nicht wegen starker Verschmutzung, sondern weil das die beste Methode war, um den durch die Anrichte niedergedrückten Teppichflor wieder aufzurichten. Der Dampf ließ die Wollfasern leicht aufquellen, und nach gründlichem Staubsaugen war nicht mehr zu sehen, dass dort ein schweres Möbelstück gestanden hatte.
Sie duschte ausgiebig und wischte die Armaturen und Fliesen der Duschkabine mit einem Handtuch trocken, damit sie fleckenlos glänzten. Dann kämmte sie sich und ließ ihr Haar an der Luft trocknen. Es würde sich später wegen der im Juni hohen Luftfeuchtigkeit leicht kräuseln. Dann zog sie sich an, was schnell ging, weil sie nur ein Kleidungsstück überzustreifen brauchte. Sie schlüpfte in Chesters Lieblingskleid, ein Seidenkleid in Dunkelrosa, das am besten aussah, wenn sie nichts darunter trug. Es ließ ihre Knie gerade noch frei, und obwohl nicht hauteng, betonte es ihre Figur, als sei es maßgeschneidert - was es auch war, obwohl Chester das nicht wusste. Er dachte, sie habe es durch Zufall in einem Kaufhaus entdeckt. Sie ließ ihn gern in diesem Glauben, nicht wegen des Preises, sondern weil es ihr, nun, etwas verrucht vorkam, dass sie sich eigens ein sexy Kleid hatte nähen lassen. Und seine Wirkung auf Chester war garantiert. Es wirkte wie ein Aufputschmittel, und sie trug es nur, wenn sie glaubte, er habe eine Belohnung verdient. Oder um ihn abzulenken. Und heute Abend würde er Ablenkung brauchen, wenn er beim Heimkommen feststellen musste, dass sein Haus zum Verkauf stand und seine Frau die Initiative ergriffen hatte. Dieser Abend würde bestimmt schwierig werden, und Marilyn war entschlossen, jeden Vorteil zu nutzen, der ihr dabei half, ihn besser zu überstehen.
Marilyn wählte die Gucci-Sandalen, die in der Farbe genau zum Kleid passten und ihre Beine lang erscheinen ließen. Dann ging sie nach unten in die Küche, aß ihren Lunch, der aus einem Apfel und einer Scheibe Magerkäse bestand, und kehrte nach oben zurück, um sich nochmals die Zähne zu putzen und über ihr Make-up nachzudenken. Da sie unter dem Kleid nackt war und ihr Haar auf natürliche Art unfrisiert trug, wäre es am besten gewesen, jegliche Schminke wegzulassen, aber sie war selbstkritisch genug, um zu wissen, dass sie sich das in ihrem Alter nicht mehr erlauben konnte. Deshalb machte sie sich an die Arbeit, sich sorgfältig so herzurichten, dass es aussah, als habe sie sich nicht die Mühe gemacht, Make-up aufzulegen.
Das dauerte gut zwanzig Minuten. Anschließend lackierte sie sich die Nägel, auch die Fußnägel, für den Fall, dass sie ihre Sandalen nicht lange tragen würde. Und während sie sich etwas von ihrem Lieblingsparfüm hinter die Ohren tupfte, klingelte das Telefon. Sheryl rief an.
»Marilyn?«, sagte sie, »erst sechs Stunden auf dem Markt, und schon hast du einen Interessenten!«
»Tatsächlich? Aber wen? Und wie?«
»Gleich am ersten Tag, bevor du auf irgendeiner Liste stehst, ist das nicht wundervoll? Der Interessent ist ein Gentleman, der mit seiner Familie herziehen will. Er ist durch die Gegend gefahren, um sie ein wenig kennen zu lernen, und hat dein Schild gesehen. Er ist schnurstracks zu mir gekommen, um sich über die Einzelheiten zu informieren. Bist du so weit? Kann ich gleich mit ihm rüberkommen?«
»Wow, gleich jetzt? Sofort? Das geht schnell, was? Aber ich bin so weit. Sheryl? Glaubst du, dass er es ernst meint?«
»Ja,
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