Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jack Reacher 09: Sniper

Jack Reacher 09: Sniper

Titel: Jack Reacher 09: Sniper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
Vom Netzwerk:
plötzlich nicht mehr normal.
    Die Männer vor ihm verschwanden. Lösten sich in Luft auf. Sie machten sich unsichtbar. Die Telefonierenden hängten mitten im Satz ein und schlängelten sich an ihm vorbei. Die Männer in den vier Warteschlangen verdrückten sich unauffällig. Der eben noch überfüllte, laute Raum wurde sekundenschnell leer und still.
    James Barr drehte sich um.
    Er sah den Mexikaner mit den Tätowierungen. Er hatte ein Messer in der Hand und zwölf Freunde hinter sich. Das »Messer« war eine mit Klebeband umwickelte Zahnbürste, deren Griff wie ein Stilett spitz zugeschliffen war. Seine Freunde waren alle stämmige kleine Kerle mit identischen Tätowierungen. Sie trugen alle ihr Haar kurz geschoren und mit komplizierten herausrasierten Mustern.
    »Wartet«, sagte Barr.
    Aber die Mexikaner warteten nicht, und acht Minuten später lag Barr im Koma. Irgendwann wurde er auf dem Boden liegend aufgefunden: zusammengeschlagen, mit mehreren Messerstichen, einem Schädelbruch und inneren Verletzungen. Die anderen Insassen waren sich später darüber einig, das sei ihm recht geschehen. Er hatte die Latinos respektlos behandelt. Aber der Flurfunk berichtete auch, dass er sich nicht kampflos ergeben hatte. Darin lag gewisse Bewunderung. Die Mexikaner hatten einiges einstecken müssen – allerdings weit weniger als James Barr. Er wurde eilig ins City Hospital gebracht, zusammengeflickt und erhielt eine Entlastungstrepanation, um den Hirndruck zu senken. Dann wurde er im Koma liegend auf eine bewachte Intensivstation verlegt. Die Ärzte wollten keine Prognose abgeben, wann er wieder aufwachen würde. Vielleicht in einem Tag. Vielleicht in einer Woche. Vielleicht in einem Monat. Vielleicht nie. Das wussten die Ärzte nicht, und es war ihnen eigentlich auch egal. Sie waren alle Einheimische.
     
    Der Gefängnisdirektor rief spätabends an und benachrichtigte Emerson. Dann telefonierte Emerson und informierte Rodin. Dann telefonierte Rodin und benachrichtigte Chapman. Dann telefonierte Chapman und informierte Franklin.
    »Was passiert jetzt?«, wollte Franklin wissen.
    »Nichts«, sagte Chapman. »Die Sache liegt auf Eis. Gegen einen Kerl im Koma kann man nicht verhandeln.«
    »Was ist, wenn er wieder aufwacht?«
    »Ist er gesund, geht das Verfahren weiter, nehme ich an.«
    »Und wenn er’s nicht ist?«
    »Dann ist natürlich Schluss. Einen Unzurechnungsfähigen kann man nicht vor Gericht stellen.«
    »Was machen wir also jetzt?«
    »Nichts«, sagte Chapman. »Wir haben diese Sache ohnehin nicht sehr ernst genommen. Barr ist eindeutig schuldig, und es gibt nicht viel, was irgendjemand für ihn tun kann.«
     
    Franklin rief an und benachrichtigte Rosemary Barr, weil er nicht sicher wusste, ob irgendwer sich diese Mühe gemacht haben würde. Er stellte fest, dass das niemand getan hatte. Also brachte er ihr die schlimme Nachricht schonend bei. Rosemary Barr ließ nicht viel an äußerlicher Reaktion erkennen. Sie wurde nur sehr still. Als habe sie wegen emotionaler Überlastung abgeschaltet.
    »Ich sollte wohl ins Krankenhaus fahren«, meinte sie.
    »Wenn Sie wollen«, sagte Franklin.
    »Er ist unschuldig, wissen Sie. Das ist so unfair!«
    »Waren Sie gestern mit ihm zusammen?«
    »Ob ich ihm ein Alibi liefern kann, meinen Sie?«
    »Können Sie’s?«
    »Nein«, sagte Rosemary Barr, »das kann ich nicht. Ich weiß nicht, wo er gestern war. Oder was er gemacht hat.«
    »Gibt es Orte, die er regelmäßig aufsucht? Kinos, Bars, irgendwas in dieser Art?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Freunde, mit denen er rumhängt?«
    »Weiß ich nicht genau.«
    »Freundinnen?«
    »Schon längere Zeit keine mehr.«
    »Weitere Angehörige, mit denen er Umgang hat?«
    »Es gibt nur uns beide. Ihn und mich.«
    Franklin schwieg, und es folgte eine lange trübselige Pause.
    »Was passiert jetzt?«, fragte Rosemary Barr.
    »Das weiß ich selbst nicht genau.«
    »Haben Sie den Mann gefunden, von dem er gesprochen hat?«
    »Jack Reacher? Nein, leider nicht. Nicht mal eine Spur von ihm.«
    »Suchen Sie weiter?«
    »Eigentlich kann ich nicht noch mehr tun.«
    »Okay«, sagte Rosemary Barr. »Dann müssen wir eben ohne ihn auskommen.«
     
    Aber noch während die beiden am späten Samstagabend miteinander telefonierten, war Jack Reacher zu ihnen unterwegs.

2
     
    Reacher war wegen einer Frau zu ihnen unterwegs. Den Freitagabend hatte er mit einer Tänzerin von einem Kreuzfahrtschiff in einem Salsaklub in South Beach, Miami, verbracht. Wie das

Weitere Kostenlose Bücher