Jack Ryan 02 - Die Stunde der Patrioten
Sorge beiseite, als er die Maschine verließ. Sean würde niemals reden. Nicht Sean, nicht wo sein Mädel im Grab liegt, Opfer einer verirrten Kugel, die ein britischer Fallschirmjäger abgeschossen hatte.
Er wurde natürlich nicht abgeholt. Die anderen Männer, die an der Operation teilgenommen hatten, waren bereits zu Hause, nachdem sie ihre Ausrüstung - ohne Fingerabdrücke versteht sich - in Mülltonnen zurückgelassen hatten. Er allein riskierte etwas, aber er war sicher, daß dieser Ryan ihn nicht richtig gesehen hatte. Er ließ es noch einmal an seinem inneren Auge vorbeiziehen. Nein. Der überraschte Ausdruck in seinem Gesicht, die Schmerzen, die sich darin abzeichneten - andernfalls wäre er bereits als Phantombild in den Zeitungen abgebil4et worden, mit dieser scheußlichen Wuschelperücke und der Brille, die er gar nicht brauchte.
Er ging, die Reisetasche umgehängt, vom Ankunftsgebäude zum Parkplatz und angelte in der Tasche nach den Schlüsseln, die auf dem Brüsseler Flughafen den Metalldetektor in Gang gesetzt hatten - urkomisch! Er lächelte zum erstenmal seit vielen Stunden. Es war ein klarer sonniger Tag, ein wundervoller irischer Herbsttag. Er fuhr mit seinem erst ein Jahr alten BMW - wenn man sich als Geschäftsmann tarnt, braucht man entsprechende Requisiten - zum konspirativen Haus. Er plante bereits zwei neue Operationen. Die Vorbereitungen würden eine Menge Zeit in Anspruch nehmen, aber die hatte er mehr als genug.
Die Tür ging auf, aber es war nicht Kittiwake - die nächste Medikamentenverabreichung war erst in vierzehn Minuten fällig. Ryan hatte schon vorher, als jemand hereinkam, draußen im Korridor eine Uniform bemerkt. Jetzt sah er, wer darin steckte. Ein gut dreißigjähriger uniformierter Beamter trat, mit einem großen Blumenarrangement beladen, ins Zimmer, und ihm folgte ein zweiter, ebenfalls mit Blumen. Der erste Strauß war mit einer roten und goldenen Schleife geschmückt, ein Geschenk der US-Marines. Der andere kam von der amerikanischen Botschaft.
«Wir haben noch ein paar, Sir», sagte der eine Beamte.
«Das Zimmer ist nicht groß genug. Geben Sie mir doch einfach die dazugehörenden Karten und verteilen Sie die Blumen im Haus. Ich bin sicher, es finden sich genug Liebhaber.» Binnen zehn Minuten lag ein ganzer Stoß von Karten, Besserungswünschen und Telegrammen vor Ryan auf der Decke. Er stellte fest, daß er, wenn er die Worte anderer las, weniger auf die Schmerzen in seiner Schulter achtete, als wenn er seinen eigenen Text las.
Kittiwake erschien. Sie warf nur einen kurzen Blick auf die Blumen, ehe sie Ryan seine Dosis verabreichte, und eilte hastig und überraschend wortkarg hinaus. Den Grund erfuhr Ryan fünf Minuten später.
Sein nächster Besucher war der Prinz von Wales. Wilson schnellte wieder in die Höhe und nahm Habachtstellung ein, und Jack fragte sich, ob seine Knie das noch lange mitmachen würden. Das Medikament wirkte bereits. Seine Schulter schien sich irgendwie aufzulösen, aber gleichzeitig kam ein schwipsähnliches Gefühl, wie nach ein paar steifen Drinks. Vielleicht war das mit dafür verantwortlich, was nun geschah.
«Tag», sagte er lächelnd. «Wie geht es Ihnen, Sir?»
«Danke, sehr gut.» Das Lächeln des anderen wirkte gezwungen. Der Prinz sah sehr müde aus, sein langes Gesicht schien noch ein paar Zentimeter länger geworden zu sein, und seine Augen blickten bekümmert. Die Schultern des konservativ geschnittenen grauen Anzugs senkten sich stark nach unten.
«Möchten Sie sich nicht setzen, Sir», forderte Ryan ihn auf. «Sie sehen aus, als hätten Sie keine sehr ruhige Nacht gehabt.»
«Ja, danke, Doktor Ryan.» Er rang sich wieder ein Lächeln ab. Es fiel kläglich aus. «Und wie geht es Ihnen?»
«Einigermaßen, Euer Hoheit. Wie geht es Ihrer Frau ... Entschuldigen Sie, ich meine, der Prinzessin?»
Der Prinz antwortete stockend und schien Mühe zu haben, von seinem Stuhl zu Ryan hochzublicken. «Wir bedauern beide, daß sie nicht mitkommen konnte. Sie ist immer noch außer sich - es muß wohl der Schock sein. Es war eine sehr schlimme Erfahrung für sie.»
Das ganze Gesicht mit Gehirn bespritzt. Das kann man sicher als eine schlimme Erfahrung bezeichnen. «Ja, ich habe es gesehen. Soweit ich weiß, ist keiner von Ihnen beiden verletzt worden. Gott sei Dank. Das Kind auch nicht, nehme ich an?»
«Nein, und das haben wir Ihnen zu verdanken.»
Jack probierte wieder ein einseitiges Achselzucken. Diesmal tat die Geste
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