Jack Ryan 02 - Die Stunde der Patrioten
imperialistischen Unterdrückung, der Art und Weise, wie Irland immer noch von dem verwesenden britischen Empire versklavt wurde - das wiederum vom amerikanischen versklavt wurde! Was wußten sie über irgendwas? Aber wir können die Amerikaner nicht vor den Kopf stoßen. Der Anführer der ULA trank sein Bier aus und stellte das Glas auf den kleinen Tisch neben der Sofalehne.
Die Sache erforderte nicht viel, wirklich nicht. Ein klares ideologisches Ziel. Ein paar gute Männer. Freunde, die richtigen Freunde mit Zugang zu den richtigen Quellen. Das war alles. Warum sich mit blöden Amerikanern belasten, die alles vermasseln. Und einen öffentlichen politischen Flügel - die Sinn Fein entsendet Leute ins Parlament, was für ein Quatsch! Sie warteten und hofften, von den britischen Imperialisten eingespannt zu werden. Wertvolle politische Ziele wurden für tabu erklärt. Und dann wunderten sie sich, warum die IRA nichts schaffte. Ihre Ideologie war korrumpiert, und es gab zu viele Leute in der Brigade. Wenn die Briten ein paar faßten, sang jedesmal einer und verpfiff seine Kameraden. Die für diesen Job nötige totale Hingabe konnte nur von wenigen aufgebracht werden - ja, sie erforderte eine zahlenmäßig kleine Elite. Und die hatte O'Donnell. Außerdem muß man den richtigen Plan haben! sagte er sich mit einem feinen Lächeln. Er hatte seinen Plan. Den hat dieser Ryan nicht geändert, erinnerte er sich.
«Der Bastard ist verdammt stolz auf sich, nicht?»
O'Donnell wandte sich zur Seite, nahm die neue Flasche, die ihm gereicht wurde, und füllte sein Glas. «Sean hätte aufpassen sollen, was hinter ihm passiert. Dann wäre dieser Herr aus Amerika jetzt eine Leiche.» Und die Mission wäre erfolgreich gewesen. Verdammt!
«Dafür können wir immer noch sorgen, Sir.»
O'Donnell schüttelte den Kopf. «Wir verschwenden unsere Energie nicht mit belanglosen Dingen. Das macht die IRA seit zehn Jahren, und man sieht ja, wie weit sie es gebracht hat.»
«Und wenn er wirklich von der CIA ist? Wenn wir infiltriert sind, und er nur deshalb da war ...»
«Reden Sie keinen Quatsch», knurrte O'Donnell. «Wenn sie einen Tip gekriegt hätten, wären alle Londoner Bullen dagewesen und hätten auf uns gewartet.» Und ich hätte es rechtzeitig gewußt - aber das sagte er nicht laut. Nur ein anderes Mitglied der Organisation wußte von seiner Quelle, und der Mann war in London. «Sie hatten einfach Glück. Gut für sie, schlecht für uns. Nichts als Glück. In deinem Fall waren wir diejenigen, die Glück hatten, nicht wahr, Michael?» Er glaubte wie jeder Ire an Glück. Daran würde die Ideologie nie etwas ändern.
Der jüngere Mann dachte an seine achtzehn Monate im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses von Long Kesh und sagte nichts. O'Donnell zuckte die Achseln, als der Nachrichtensprecher zum nächsten Thema kam. Glück. Das war alles. Ein naseweiser Yankeetourist hatte einfach Glück gehabt. Irgendein zufälliges Ereignis, eine Reifenpanne, eine defekte Batterie in den Funkgeräten oder ein plötzliches Gewitter, hätte die Operation ebensogut fehlschlagen lassen können. Er war ihnen gegenüber insofern im Vorteil, als sie immerfort Glück haben mußten. Er dagegen nur einmal. Er dachte über das nach, was er eben auf dem Bildschirm gesehen hatte, und kam zu dem Schluß, daß Ryan die Mühe nicht lohnte.
Ich darf die Amis nicht vor den Kopf stoßen, dachte er wieder, diesmal ein bißchen verwundert. Warum eigentlich nicht? Sind sie nicht auch der Feind? Hör auf, Junge, jetzt redest du wie diese Idioten vom Provisorischen Flügel. Geduld ist die wichtigste Eigenschaft des wahren Revolutionärs. Man muß den richtigen Augenblick abwarten - und dann entschlossen zuschlagen!
Er wartete auf den nächsten Bericht seiner Quelle.
Das Antiquariat lag in der Burlington Arcade, einer hundertjährigen Ladenstraße, die vom besseren Teil des Piccadilly abging. Auf der einen Seite befand sich ein Schneidergeschäft - hauptsächlich für Touristen, die unter den Lauben Schutz vor den Elementen suchten - und auf der anderen ein Juwelierladen. Das Antiquariat verströmte den spezifischen Geruch, der Bibliophile anzieht wie Blütenduft eine Biene, den leicht modrigen, staubigen Geruch von gilbendem Papier und alten Ledereinbänden. Der Besitzer, dessen Anzug an den Schultern sichtbare Spuren von Staub aufwies, war überraschend jung. Er begann den Tag damit, daß er mit einem Federwisch über die Regale fuhr, und die Bücher
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