Jack Ryan 02 - Die Stunde der Patrioten
O'Donnell las so langsam und konzentriert, wie McKenney eben die Verse von Yeats gelesen hatte. Der jüngere Mann staunte über seine Geduld. Trotz seines Rufs als rücksichtsloser Fighter wirkte der Anführer der ULA oft wie ein Wesen aus Stein, jedenfalls wenn er Daten aufnahm und verarbeitete. Wie ein Computer, aber ein bösartiger. Er brauchte geschlagene zwanzig Minuten, um die sechs Seiten durchzugehen.
«Hm ... Unser Freund Ryan ist wieder in Amerika, wohin er gehört. Ist mit der Concorde geflogen, seine Frau hat dafür gesorgt, daß ein Freund sie am Flughafen abholte. Ich nehme an, er wird ab nächsten Montag wieder im Hörsaal stehen und den gescheiten jungen Männern und Frauen von ihrer Marineakademie Vorträge halten.» O'Donnell lächelte, weil er seine Bemerkung witzig fand. «Seine Königliche Hoheit und seine hübsche Gemahlin werden mit zwei Tagen Verspätung zurückerwartet. Ihre Maschine hat offenbar Probleme mit der Elektronik, und sie haben ein Ersatzinstrument aus England einfliegen lassen müssen - das ist wenigstens die offizielle Version. In Wirklichkeit dürfte Neuseeland ihnen so gut gefallen haben, daß sie es noch ein bißchen genießen wollten, ohne offizielle Verpflichtungen. Für die Ankunft sind eindrucksvolle Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden ... Nach all dem, was ich hier lese, scheinen die Sicherheitsmaßnahmen künftig enorm zu sein, wenigstens für die nächsten paar Monate.»
McKenney schnaubte. «Wir können sie schlagen. Wir haben es bewiesen.»
«Michael, wir wollen sie nicht töten. Jeder Narr könnte das», sagte O'Donnell geduldig. «Unser Ziel erfordert, daß wir sie lebend bekommen.»
«Aber...»
Würden sie denn nie lernen? «Kein ‹aber›, Michael. Wenn ich sie töten wollte, wären sie bereits tot, und dieser verdammte Ryan mit ihnen. Töten ist leicht, aber damit erreichen wir nicht das, was wir wollen.»
«Ja, Sir.» McKenney nickte ergeben. «Und Sean?»
«Sie werden ihn noch ungefähr zwei Wochen im Gefängnis von Brixton in die Mangel nehmen - unsere Freunde von C-13 möchten ihn im Moment noch in der Nähe haben.»
«Heißt das, er wird ...»
«Sehr unwahrscheinlich», unterbrach O'Donnell ihn. «Aber ich meine trotz allem, daß die Organisation mit ihm stärker wäre als ohne ihn, finden Sie nicht?»
«Aber wie werden wir es wissen?»
«Für unseren Kameraden interessieren sich die höchsten Stellen», deutete O'Donnell an.
McKenney nickte nachdenklich. Er verbarg seinen Ärger darüber, daß der Anführer nicht mal seinem eigenen Nachrichtenchef sagen wollte, wer seine Quelle war. McKenney wußte, wie wertvoll die Informationen waren, aber woher sie kamen, war das größte aller ULA-Geheimnisse. Der junge Mann zuckte die Achseln. Er hatte seine eigenen Quellen, und seine Fähigkeit, ihre Meldungen zu verarbeiten, wurde täglich besser. Daß er immer so lange warten mußte, ehe er handeln konnte, nagte an ihm, aber er gestand sich ein - zunächst widerwillig, dann mit wachsender Überzeugung -, daß verschiedene heikle Operationen nur wegen der gründlichen Vorbereitungen geklappt hatten. Eine andere Operation, die nicht so glatt gelaufen war, hatte ihn in den Hochsicherheitstrakt von Long Kesh gebracht. Er hatte daraus gelernt, daß die Revolution tüchtigere Männer brauchte. Inzwischen haßte er die Nullen an der Spitze des Provisorischen Flügels noch mehr als die britische Armee. Der Revolutionär hatte von Freunden oft mehr zu fürchten als von Feinden.
«Etwas Neues von unseren Kollegen?» fragte O'Donnell.
«O ja», sagte McKenney aufgekratzt. «Unsere Kollegen» waren der Provisorische Flügel der Irisch-Republikanischen Armee. «Eine Zelle der Brigade Belfast will übermorgen einen Pub angreifen, der in letzter Zeit von einigen Burschen von der UVF frequentiert worden ist - nicht sehr schlau von ihnen, was?»
«Ich denke, wir brauchen da nichts zu unternehmen», meinte O'Donnell. Es würde natürlich eine Bombe sein, und sie würde eine Reihe von Leuten töten, darunter vielleicht ein paar Angehörige der «Ulster Volunteer Force», die er als reaktionäres Organ der herrschenden Bourgeoisie betrachtete, nichts weiter als Strolche, denn sie hatten überhaupt keine Ideologie. Wenn einige von ihnen umkamen, war das nur gut, aber der Anlaß würde genügen, daß sich andere Heckenschützen von der UVF in ein katholisches Viertel schlichen und ein paar Leute auf der Straße abknallten. Und die Beamten von der Ulster-Polizei würden
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