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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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du jetzt übernehmen?»
    «Ich weiß es nicht, es zieht mich wieder nach Hause.»
    «Wo ist denn das?»
    «Triebswetter, wo du auch gelebt hast.»
    Er musterte mich erstaunt. «Triebswetter? Warum hast du das nicht früher gesagt?»
    «Es geht mich nichts an.»
    «Was?», fragte er.
    «Was zwischen dir und Ramina gewesen ist.»
    Jetzt sprang er vom Stuhl auf, der nach hinten kippte. «Du kennst Ramina?»
    «Ich habe jede Woche für sie einen Sack geschleppt. Und jede Woche hat sie mir erzählt, dass ich zwei Geburten hatte und dass ich mir aussuchen könne, welche ich haben wolle. Ich habe immer jene gewählt, in der Vater nicht mein Vater war.»
    «Was redest du da?»
    «Er hat mich den Russen ausgeliefert.»
    «Den Russen? Das verstehe ich nicht.»
    «Das macht gar nichts.»
    Ich habe mich seitdem oft gefragt, wieso ich ausgerechnet da und ausgerechnet ihm die Wahrheit erzählt hatte, da doch Popa Pamfilie mir viel nähergestanden hatte. Ichhabe keine Erklärung dafür. Vielleicht wollte ich eine Reaktion provozieren, etwas tun, was mich zum Handeln zwang. Vielleicht auch, weil ich durch Gigi meiner Kindheit und Ramina nähergekommen war.
    Er holte den Schnaps aus dem Schrank und trank direkt aus der Flasche, dann lief er unruhig im Raum umher. Er rang mit sich selbst, lief sogar einmal zur Tür, öffnete sie und wollte weggehen, kehrte aber wieder zurück. Er trank erneut, erst dann war er wieder bereit zu reden.
    «Wie geht es ihr?», fragte er.
    «Sie wurde an den Bug deportiert, als ich sechzehn war.»
    «Und ihrem Kind? Sie hatte doch eines, nicht wahr?»
    «Sarelo, ja. Er wohnt bei uns zu Hause. Wenn es nach Vater geht, soll er den Hof und alles andere übernehmen.»
    «Wie heißt dein Vater?»
    «Obertin. Jakob Obertin.»
    Gigi war nicht mehr zu halten, er stürzte sich auf mich, presste mich gegen den Tisch und wollte auf mich einschlagen, doch es gelang ihm nicht. Ich packte ihn fest an den Handgelenken und drückte ihn gegen die Wand. Wie von Sinnen wiederholte er: «Bist du hier, um mich zu verhöhnen? Bist du deshalb hier?» Jetzt war ich derjenige, der nichts mehr verstand. Obwohl er vor Wut schäumte und mich anspuckte, schlug ich nicht auf ihn ein. Wie ein blindwütiges Tier versuchte er, sich aus seiner Lage zu befreien.
    «Was meinst du damit?», rief ich ihm mehrmals zu.
    «Du bist doch die Brut von Obertin, der mich entehrt hat. Der zuerst meine Männer gebraucht und dann meine Frau geschwängert hat. Sie hat behauptet, dass er sie vergewaltigt hat, aber auf so etwas gebe ich gar nichts. Sagnicht, dass du nicht weißt, dass er dein Halbbruder ist?», schleuderte er mir entgegen.
    Ich wich zurück und stützte mich am Tischrand ab. Zwei der Kerzen brannten nicht mehr, deshalb wirkte die Stube nun dunkel und kalt. Jemand musste dafür sorgen, dass sie wieder angezündet wurden. Aber das alles ging mich nun nichts mehr an, denn mein früheres Leben, das ich manchmal für erträumt oder eingebildet gehalten hatte, hatte mich wieder eingeholt. Es war mit solcher Wucht gegen mich geprallt, dass mir der Atem stockte. Nie davor oder danach würde Vater so sehr mein Vater sein, wie als ich erfahren musste, dass ich ihn mit einem anderen teilte. «Das ist nicht wahr! Du bist nur ein dreckiger Zigeuner, der einfach lügt!», rief ich.
    Gigi massierte sich die Handgelenke, fluchte und zupfte sein Hemd zurecht. Er trank ein drittes Mal den Hochprozentigen, leckte sich die letzten Tropfen vom Schnurrbart ab, dann knallte er die Flasche an die Wand. «Nach dem Zigeunergesetz hätte ich ihn umbringen müssen, ob Vergewaltigung oder nicht. Nur euer Name hat mich davon abgehalten», sagte er mit gefassterer Stimme.
    «Ramina hat immer erzählt, dass du mit einer Jüngeren durchgebrannt bist», sagte ich.
    «Erzählen konnte sie immer gut.»
    Er ging erneut zur Tür, blieb aber auf der Türschwelle stehen und drehte sich zu mir um. «Bis morgen bist du weg von hier. Ich will dich hier nicht haben, du erinnerst mich zu sehr daran. Wenn du morgen Abend noch da bist, erfährt der Milizmann deine Russengeschichte. Der wird ganz froh sein, er traut dir sowieso nicht. Oder ich bringe dich einfach um. Ein Sarg für dich wird sich schon finden. Niemand wird dich vermissen.»
    So kam es, dass ich am nächsten Morgen, noch in aller Frühe, mich wieder auf jener Ebene befand, auf der ich beinahe umgekommen war, fast genau an der gleichen Stelle, an der ich auf die Schienen gefallen war. Wo ich aus einer unsicheren Zukunft in

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