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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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von Triebswetter immer weiter entfernten. Dann hockte ich mich wie alle anderen hin, und wie Welpen, die Wärme suchten, drückten wir uns aneinander.

4.
Kapitel
    D ie Tiere wärmten ihn, wie sie auch Jesus gewärmt hätten. Frédéric holte seine Schafe und das Schwein immer ins Haus, wenn der eisige Oktoberwind wehte und sich die ersten frostigen Nächte ankündigten. Treu und zahm standen sie um sein Strohbett herum, und Frédérics klammer Körper taute auf, bis er endlich einschlafen konnte.
    An jenem Morgen des Jahres 1769, als er zum ersten Mal etwas über das Banat hören sollte, erwachte er vom heftigen Klopfen an seiner Tür. Wie ein Ertrinkender, der sich in letzter Minute retten konnte, fand er zurück ins Leben. Er schnappte nach Luft, und weil sich das Klopfen bis in seinen letzten Traum fortgesetzt hatte, wusste er nicht, ob er es sich womöglich nur eingebildet hatte. Er blieb liegen und lauschte, während seine Hand unter dem Kissen nach dem Messer suchte.
    Denn obwohl der Große Krieg seit über einem Jahrhundert beendet war, war die Gegend um Dieuse, ja ganz Lothringen nie wirklich zur Ruhe gekommen. Noch in seiner Jugend hatte Frankreichs König weitere Kriege geführt, und seine Eltern hatten ihn vor den Aushebungskommandos der Armee verstecken müssen. Kaum wurden auf der Straße nach Marsal Reiter gesichtet, flüchtete er ins nahe Wäldchen. Inzwischen brauchte man sich vor so etwas nicht mehr zu fürchten. Wenn ein Bauer aufs Feld ging, konnte er damit rechnen, abends auch wiedernach Hause zu kommen. Im Vergleich zu jener Zeit, als Caspar hier aufgekreuzt war, der, wie sein Vater es ihm erzählt hatte, sich auf seinem früheren Hof geglaubt und die ganze Familie bis auf ein Mädchen ausgelöscht hatte, war es friedlicher geworden.
    Caspar hatte gleich das Haus niedergebrannt wegen der Pest, die sich darin eingenistet hatte. Dann hatte er ein neues gebaut, das, in dem Frédéric jetzt wohnte. Caspar und das Mädchen waren darin eingezogen, hatten einige Tiere und etwas Saatgut erworben, und als sich die Gegend nach und nach wieder belebt hatte, als sich einige Bauern in den verlassenen Häusern niedergelassen hatten, hatten sie jahrelang friedlich auf ihrem Land gewohnt. Sie hatten es sogar so weit gebracht, dass sie nur noch selten hungern mussten.
    Sie gingen fast nie ins Dorf, sie genügten sich selbst. Die Überreste der Familie hatten in ein kleines Grab gepasst, das sie unweit ihres Hofes ausgehoben hatten. Frédéric kannte den Ort gut, auch wenn das Kreuz inzwischen verschwunden war. Er hatte immer in Sichtweite von Caspars Tat gelebt. Sein Vater hatte sogar gemeint, gehört zu haben, dass das Mädchen ergeben und arbeitsam, ja zufrieden gewesen sei. Caspar hatte sieben Kinder mit ihr gezeugt, wovon einige bald starben. Doch zwanzig Jahre später, als sie mit dem achten Kind schwanger war, das Frédérics Urgroßvater werden sollte, hatte sie ihren Mann wie aus heiterem Himmel erschlagen, und ihr Erstgeborener hatte die Leiche im Wäldchen verscharrt. Danach hatte sie den Hof mithilfe ihres Sohnes weitergeführt, als ob nichts gewesen wäre.
    Frédéric hatte oft im Dickicht nach Spuren gesucht, die ihm die Wahrheit dieser Geschichte beweisen sollten. EinesTages hatte er beschlossen, dass sie wahr sein musste, und sie beiseitegeschoben, denn inzwischen plagten ihn andere Sorgen. Der Boden gab wenig her, die Missernten häuften sich, die Steuern waren hoch, und so machte die Armut aus vielen Bauern Landstreicher, die für ein Stück Brot töten würden. Dass ihm nicht dasselbe widerfuhr, verdankte er einem einträglichen Geschäft: der Zigeunerjagd.
    Als es zum dritten Mal klopfte, rief er: «Wer da?»
    «Was fragst du noch? Ich bin’s. Steh auf, sonst verdienen wir heute gar nichts.»
    Als er die Stimme seines Freundes erkannte, steckte er sein Messer weg, bahnte sich einen Weg an den Tieren vorbei und öffnete die Tür.
    «Zieh dich an, man hat nicht weit von Marsal Zigeuner gesichtet!», sagte Jules.
    Frédéric war klein gewachsen, aber robust genug, um in der Kneipe jeden auf den Boden zu werfen, der ihn schmähte, weil er mit seinen dreißig Jahren noch immer allein und weitab vom Dorf lebte. Ein Einzelgänger, der sich um niemanden scherte. Der Einzige, mit dem er sich abgab und der sozusagen sein Geschäftspartner war, war Jules, ein Hüne von einem Mann. Für jeden gefangenen Zigeuner kriegten sie nach Abzug der Pferdemiete genug, um bis zur nächsten Jagd auszukommen. Und

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