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Jade-Augen

Jade-Augen

Titel: Jade-Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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er brauchte neue Strategien. Die Geiseln waren entscheidend für seinen Plan und mußten weiter von Jalalabad fortgebracht werden, wo der Feind jetzt die Oberhand hatte. Nein, es war noch zu früh, um sich in dieser Auseinandersetzung eine endgültige Niederlage einzugestehen … aber in der anderen?
    Er hatte verloren. Nur eine Frage stellte sich noch: Welche Maßnahmen sollte er ergreifen? Er konnte jede Rache üben, die er für richtig hielt. Sie waren alle nur Bauern auf seinem Schachbrett. Aber die Aussicht auf pure Rache reizte ihn nicht. Anfangs, im ersten Zorn, war ihm Rache als befriedigende Lösung erschienen, aber jetzt würde sie zu einer leeren Geste gerinnen … eine, die weder Ehre noch Genugtuung brachte.
    Er konnte Ayesha mit einer Eskorte nach Madella schicken, wo sie ihr gewohntes Leben wiederaufnehmen würden, sobald die andere Angelegenheit erledigt war. Und wenn er nicht nachtragend wäre, könnte sie ein einigermaßen angenehmes Leben im Zenana führen. Er würde ihr Pferde und Falken nicht versagen oder ihre Bücher, auch gäbe es die Gesellschaft anderer Frauen. Seine Gemahlinnen waren mit weit weniger Freiheiten, als er sie Ayesha gewährte, vollkommen zufrieden.
    Oder er konnte … Aber die Vorstellung, dem Feringhee nachzugeben, ging über seine Kräfte … weder in dieser noch in der anderen Angelegenheit.
    Er durchmaß sein Audienzzimmer und wälzte die Möglichkeiten, wie man eine Niederlage als Sieg erscheinen lassen konnte: eine Lösung, die schnelles Nachdenken und Scharfsinn auf Ayeshas und ihres Liebhabers Seite erforderte, wenn sie ihre Freiheit gewinnen wollten, eine, die auf seiner Seite keine Schwachstelle aufweisen durfte.
    Als der Morgen graute, meinte er die Lösung gefunden zu haben.

22. KAPITEL
    »Ayesha! Ayesha, schnell, du mußt aufwachen. Sie sind gekommen, um dich zu holen.« Zobayedas ängstliche Stimme und ihr Rütteln ließen Annabel schlagartig erwachen.
    »Wie spät ist es denn?«
    »Nach Sonnenaufgang«, antwortete die Frau. »Du mußt dich anziehen. Sie sind gekommen, um dich zu holen.«
    Annabel setzte sich auf und schwang die Beine aus dem Bett. Sie griff nach ihrer Jacke und ihrer Chalvar, aber Zobayeda sagte mit der gleichen ängstlichen Stimme: »Nein, du sollst das hier tragen.«
    Annabel starrte verständnislos auf die rauhe, schwarze Hose und Jacke. »Aber die Sachen gehören mir nicht.«
    »Es ist so befohlen«, sagte Zobayeda.
    Die Erklärung dafür müßte heißen, der Tag der Urteilssprechung war gekommen. Einen Augenblick lang packte Annabel nacktes Entsetzen, der Friede ihres stoischen Glaubens an das Schicksal verblaßte vor den Bildern der Pein. Sie legte die Kleidung an, ihre Haut sträubte sich gegen den schürfenden Stoff. Sie hatte niemals zuvor solche Kleidungsstücke getragen, und das rauhe Material kratzte. Wem sie wohl gehören mochten? Solche Bauerngewänder lagen hier nicht herum, denn die Menschen, denen sie gehörten, trugen ihren ganzen Besitz am Leibe. Obwohl ihr ihre Zimperlichkeit klar war angesichts der augenblicklichen Lage der Dinge, schauderte sie vor den Kleidungsstücken, die noch vor wenigen Stunden einen ungewaschenen Körper bedeckt haben mochten.
    »Du sollst verschleiert sein, aber keinen Chadri tragen«, sagte Zobayeda. »Und barfuß. So ist es angeordnet.«
    Verschleiert, denn es würden Männer bei der Urteilssprechung sein, ohne Chadri, damit sie keine Möglichkeit hätte, sich vor den Demütigungen und der Schande, die sie erwarteten, zu verbergen, zudem barfuß wie ein Sünder. Erst jetzt erkannte sie, daß sie niemals wirklich geglaubt hatte, Akbar Khan würde ihr die volle Strafe auferlegen. Wie konnte sie sich so irren? Und wenn er Ayesha nicht verschonen würde, bestand auch keine Hoffnung für Kit.
    Zobayeda reichte ihr einen schwarzen Schleier: die Farbe der zu Tieren degradierten Frauen der Bergbewohner, die Farbe der in Ungnade gefallenen Frauen der Khane. Mit diesen Gewändern änderte sich unwillkürlich ihr Benehmen. Der gesenkte Kopf, die Augen fest auf den Fußboden gerichtet und die kraftlosen, nach vorne fallenden Schultern entsprachen ihrem Zustand. Sie fühlte sich erniedrigt, und die Verachtung in den Augen der Wachen, denen sie dergestalt entgegentrat, überraschte sie nicht.
    Sie ging hinter ihnen her, die Eiseskälte des feuchten Steinfußbodens kroch in ihre Füße und ihren ganzen Körper empor.
     
    Als eine Gruppe afghanischer Bewacher gleich nach Sonnenaufgang in die Quartiere der

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