Jade-Augen
Tür öffnete sich und sechs weitere Ghilzai traten ein. Hinter ihnen ging Akbar Khans Ayesha. Einen Augenblick lang erkannte Kit die farblose, gebeugte Gestalt nicht. Dann spürte er, wie seine Schläfen zu pochen begannen, und er fragte sich, was sie ihr wohl angetan haben mochten, um sie in diese vollkommene Unterwerfung zu zwingen. Es gelang ihm nur mit äußerster Anstrengung, seine Besonnenheit aufrechtzuerhalten, sehr wohl spürend, daß jegliche Unmutsbezeigung ihnen nur in die Hände spielte.
Akbar Khan gab einen Befehl auf Paschtu, seine Stimme hallte von den Wänden wider. Die Männer, die Ayesha gebracht hatten, ergriffen sie plötzlich. Der Raum verschwamm vor Kits Augen. Er tat, mit einem Fluch auf den Lippen, einen Schritt vor, dann spürte er den Messerblick des Sirdars auf sich gerichtet. Er konnte die Botschaft in ihnen nicht lesen, aber er war deutlich genug, um ihn zum Stehen zu bringen.
Ayesha wurde grob durch den Raum gestoßen, so daß sie vor Kits Füßen auf die Knie fiel. Er blickte stumm auf sie hinab, als ihre Bewacher, die sie nun los waren, mit dem Gesichtsausdruck von Männern, die eine Aufgabe zur eigenen Zufriedenheit erledigt haben, sich zwischen die übrigen an der Wand einreihten.
Akbar Khan begann auf Paschtu zu sprechen, vielmehr, eine Rede zu halten. Kit konnte nicht ein Wort des Gesagten verstehen. Um ihn her wurden die Gesichter der Ghilzai grimmiger, so dies überhaupt noch möglich war. Dann vernahm er plötzlich ein hastiges Flüstern. Annabel sprach englisch mit ihm, noch immer auf ihren Knien und mit gesenktem Kopf flossen die Worte rasch unter ihrem schwarzen Schleier hervor.
»Er gibt mich dir … das ist eine Beleidigung, kein Geschenk. Er findet mich unwürdig und hat keine weitere Verwendung für mich, also wirft er mich zu dem Feringhee, der nichts Besseres verdient als den wertlos gewordenen Besitz eines Afghanen. Laut der Gesetze der Gastfreundschaft bist du gezwungen das Geschenk anzunehmen, und das Landesgesetz verlangt von dir, für meine Existenz aufzukommen … Akbar Khans Verantwortung für etwas zu übernehmen, das er für unwert befunden und fortgeworfen hat. Jedoch kannst du nach den gleichen Gesetzen mit mir machen, was du willst. Ich bin nichts.«
Kit hörte ungläubig zu. Akbar Khans Worte hallten weiterhin durch den Raum, troffen vor Verachtung und Abscheu, mitunter verhöhnend, riefen Wogen belustigten Spotts bei seiner Zuhörerschaft hervor, die sich an seinen Schmähreden erfreute. Dann hörte er, daß das Flüstern zu seinen Füßen erneut einsetzte. Ohne zu ihr hinunterzublicken, lauschte er angestrengt ihren heftig vorgebrachten Anweisungen.
»Du mußt wütend über die Beleidigungen sein, sonst gewährt ihnen dieser Winkelzug keine Befriedigung. Sag, daß du ein solches Geschenk zurückweist … daß der Stolz deiner Rasse es dir nicht gestattet, etwas anzunehmen, das für deinen Gastgeber wertlos ist … Denke wie ein Afghane!«
Äußerste Dringlichkeit schwang in diesen letzten Worten. Denke wie ein Afghane. Allmächtiger Gott, wie nur dachte ein Afghane? Welcher Ehren- und Beleidigungskodex galt hier? Ein Mann durfte ein Gastgeschenk nicht zurückweisen, daran erinnerte er sich gut an damals, als ihm Akbar Khan Ayesha für die Nacht gegeben hatte. Es war nicht möglich gewesen, dieses Geschenk zurückzuweisen, ohne dabei den Hals zu riskieren. Damals hatte er die der Höflichkeit – ein Mann überläßt seinen wertvollsten Besitz einem Gast – zugrundeliegende Beleidigung des Geschenks begriffen. Jetzt wurde ihm klar: Aus irgendeinem unverständlichen Grund war dieses Schauspiel nicht für Akbar Khan gedacht; es wurde für die anwesenden Ghilzai aufgeführt. Sie würden glauben, was sie hörten. Sie würden glauben, daß er gezwungen war, eine Beleidigung zu ertragen, die Akbar Khans Stolz wiederherstellte: ein Todesurteil wäre gnadenvoller gewesen – diese Männer gaben dem Tod den Vorzug vor der Demütigung, vor allem, wenn sie wegen eines Gebrauchsgegenstands, wie eine Frau ihn darstellte, erfolgte.
Denke wie ein Afghane. Nun, er besaß schon immer ein Talent für das Dramatische.
Kit hob den Kopf, ließ seine grauen Augen Blitze schleudern. »Du wurdest mich beleidigen, Akbar Khan«, sagte er in langsamem, vorsichtigem Persisch. »Du würdest mir diese …« er stieß die kniende Gestalt vor ihm mit der Stiefelspitze an, »diese Sache, die du wertlos findest, geben?«
Zustimmendes Murmeln ging durch den Raum, obwohl die
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