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Jaeger

Jaeger

Titel: Jaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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als Tosen und Sprudeln.
    »Sie müssen was für uns tun. Dann sehen Sie Ihre Tochter wieder.«
    Marina konnte nicht sprechen. Sie wusste nicht, woher sie die Kraft nehmen sollte, auch nur ein Wort hervorzubringen.
    »Verstanden?«
    »J-ja.«
    »Gut.«
    »Wieso?«
    Schweigen.
    »Wieso? Wer –«
    »Ich hab’s Ihnen gerade gesagt. Seien Sie still. Hören Sie zu.«
    Sie gehorchte. Versuchte, sich auf die Stimme zu konzentrieren und festzustellen, ob sie ihr vielleicht bekannt vorkam. Es war unmöglich. Sie wusste nicht einmal, ob sie von einem Mann oder einer Frau stammte.
    Die Stimme fuhr fort. »Wir wollen, dass Sie zu einem ganz bestimmten Ort fahren, und wenn Sie da sind, müssen Sie eine Aufgabe erledigen. Verstanden?«
    »Ja …«
    »Gut. In Ihrer Tasche finden Sie ein Buch mit Straßenkarten.«
    Es wurde still in der Leitung. Marina nahm das als Aufforderung, nach den Karten zu suchen. Hastig kramte sie in ihrer Tasche. Da. Ein Straßenatlas von Essex.
    »Auf einer der Seiten ist was markiert«, fuhr die Stimme fort. »Schlagen Sie sie auf.«
    Der Atlas war nagelneu. Nur an einer Stelle hatte der Buchrücken einen deutlich sichtbaren Knick. Sie nahm den Atlas in die Hand, und er öffnete sich wie von selbst auf einer ganz bestimmten Seite. In einem der Planquadrate hatte jemand etwas eingekreist. Darunter stand ein Name.
    »Da fahren Sie hin.«
    »Und … und was mache ich, wenn ich da angekommen bin?«
    »Fragen Sie nach …« Eine Pause. »Tyrell.«
    »Und dann? Ist Josephina auch da? Ist sie –«
    »Tun Sie einfach, was Ihnen gesagt wird.« Bis dahin war die Stimme emotionslos gewesen, doch plötzlich hatten die Worte einen widerlichen Unterton angenommen. Als empfände der Sprecher ein krankes Vergnügen dabei, andere zu manipulieren.
    »Wo ist meine Tochter? Ich will meine Tochter hören …«
    »Machen Sie einfach, was ich Ihnen gesagt hab.«
    Marina suchte nach Worten, fand aber keine. Als Kriminalpsychologin war sie darin geschult, mit Leuten wie diesem Anrufer umzugehen. Sie war Expertin und hätte eigentlich wissen müssen, wie man in einer solchen Situation am besten reagierte. Aber bislang hatte sie immer nur beruflich mit solchen Fällen zu tun gehabt, nie persönlich. Und jetzt war sie auf einmal selbst die Betroffene. Auf einmal passierte es ihr. Ihre Gefühle waren in Aufruhr, in ihrem Kopf herrschte Chaos wie auf einer Müllkippe, und all ihr Fachwissen war verdampft wie Wassertropfen auf einer heißen Herdplatte.
    Sie musste sich zusammenreißen, durfte nicht die Nerven verlieren. Musste irgendwo in den Tiefen ihres aufgewühlten Verstandes einen Punkt finden, an dem sie ansetzen konnte. Sie musste sich wie ein Profi verhalten.
    »Warum tun Sie das?« Sie gab sich Mühe, ihre Gefühle in Schach zu halten und sachlich zu bleiben, auch wenn es ihr schwerfiel. »Warum tun Sie mir das an?«
    Am anderen Ende der Leitung trat eine Pause ein. Marina hörte das elektrostatische Summen toter Luft. Im ersten Moment dachte sie, der andere hätte aufgelegt. Sie spürte eine Woge panischer Hilflosigkeit in sich hochsteigen.
    »Als Strafe. Für Ihre Schuld.«
    Sie kämpfte ihre beginnende Hysterie nieder und konzentrierte sich. Das war ein allererster Ansatzpunkt. Eine kurze Bemerkung, aber sie gab ihr die Möglichkeit einzuhaken.
    »Schuld? Welche Schuld denn?«
    Nichts. Sie hörte die Person am anderen Ende atmen. Das Atmen hörte sich wütend an. Viel wütender als die Stimme selbst.
    »Halten Sie den Mund«, wurde plötzlich gezischt. »Machen Sie, was man Ihnen sagt. Wenn Sie Ihre Tochter lebend wiedersehen wollen.«
    »Ist ja gut. Aber –«
    »Und sagen Sie niemandem, wo Sie hinfahren und was Sie vorhaben. Niemandem. Ich beobachte Sie. Selbst wenn Sie denken, dass ich es nicht mache. Jetzt gerade in diesem Augenblick beobachte ich Sie.«
    Marina fuhr so schnell herum, dass ein Ziehen durch ihre Rippen ging und ihr schwindlig wurde. Sie sah niemanden. Sie schlich zum Eingang der Kabine und schob den Vorhang ein Stück beiseite. Zwei Krankenschwestern gingen gerade vorbei, ansonsten war niemand da. Da erspähte sie ganz hinten im Gang Anni, die mit einem Kaffeebecher in der Hand auf sie zukam.
    »Denken Sie dran, kein Wort. Vor allem nicht zu der Polizistin, die zu Ihnen will.«
    Marinas Herz setzte einen Schlag aus. Ihre Kehle war wie zugeschnürt.
    Sie glaubte spüren zu können, wie die Person am anderen Ende lächelte. »Gut. Jetzt haben wir uns verstanden. Sie haben eine Aufgabe zu

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