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Jaeger

Jaeger

Titel: Jaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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sein.
    »Entschuldigen Sie mich bitte«, sagte sie, stieg aus dem Wagen und warf die Tür hinter sich zu. Miltons Blick folgte ihr.
    Sie stand vor Mickey und wartete darauf, dass er anfing zu sprechen. Seine Züge waren angespannt.
    »Ich habe gerade einen Anruf bekommen«, sagte er. »Von einer Kollegin aus dem Ipswich General.«
    »Was gibt’s?« Seine Miene verriet ihr, dass es keine guten Neuigkeiten sein konnten. War sein Boss gestorben? Oder dessen Mutter? Alle beide? Was für ein Tag.
    »Es geht um Marina«, sagte er. »Sie ist nicht mehr da.«
    »Nicht mehr da? Was meinen Sie damit?«
    »Verschwunden. Getürmt.«
    Jessie stieß den Atem aus, von dem sie gar nicht gewusst hatte, dass sie ihn angehalten hatte. »Gott sei Dank. Ich dachte schon, sie wäre gestorben.« Dann zog sie die Brauen zusammen. »Wieso, was ist denn passiert?«
    »Sie hat meiner Kollegin gesagt, sie müsse zur Toilette, hat sich heimlich nach draußen geschlichen und ist weggefahren. Mit dem Auto besagter Kollegin.«
    »Irgendeine Ahnung, wohin sie wollte?«
    »Nein.«
    Jessie entfernte sich ein paar Schritte vom Auto. Mit vor dem Körper verschränkten Armen blickte sie aufs Meer. Durch den Sonnenschein hatte man fast den Eindruck, es wäre Sommer – ein Tag, der zum Faulenzen und Spaßhaben einlud. An dem man so tun wollte, als gäbe es nichts Böses auf der Welt.
    Sie wandte sich wieder Mickey zu.
    »Der Zeuge im Wagen behauptet, sie habe versucht, nach der Explosion ins Haus zu gelangen. Außerdem soll sie so was gesagt haben wie: ›Was habe ich getan?‹«
    Mickey runzelte die Stirn.
    »Wie bitte?«
    »Klingt so, als hätte sie sich wegen irgendetwas Vorwürfe gemacht. Was meinen Sie, könnte sie vielleicht auf dem Weg zurück hierher sein? Um auf eigene Faust nach ihrer Tochter zu suchen?«
    Er zuckte die Achseln. »Möglich wäre alles. Ich kümmere mich darum.«
    »In Ordnung. Und ich sage meinen Leuten, sie sollen weiter nach dem Kind suchen. Die Uniformierten sollen die nähere Umgebung abklappern und rausfinden, ob jemand etwas gesehen hat. Nach der Mutter halten wir jetzt ebenfalls Ausschau. Schicken Sie mir das Kennzeichen des Fahrzeugs, das sie sich genommen hat.«
    »Geht klar.«
    »Wir bleiben in Kontakt.«
    Sie sahen einander an. Länger, als Jessie beabsichtigt hatte. Schließlich brach sie den Blickkontakt ab. Mickey nickte, drehte sich um und ging davon.
    Jessie sah ihm nach. Ein anständiger Kerl, so was erkannte sie auf den ersten Blick. Dann wandte sie sich wieder ihrem Wagen zu, um Stuart Milton zu verkünden, dass die Befragung beendet und er entlassen sei.
    Die hintere Tür stand offen. Er war bereits gegangen.
    11 Southend-on-Sea hatte nicht nur schon bessere Tage gesehen, sondern hatte sie auch noch winkend auf dem Bahnsteig verabschiedet, im vollen Bewusstsein, dass sie niemals wiederkehren würden.
    In der Nachkriegszeit war der Ort ein durchaus respektables Urlaubsziel für Familien aus dem Londoner East End gewesen, für die eine Zugfahrt auf der neugebauten, bis zur Themsemündung reichenden Bahnstrecke eine aufregende Abwechslung darstellte. Der längste Pier der Welt, Vater konnte angeln, Mutter bummeln gehen, es gab Cafés, in denen man die Großeltern unterbringen konnte, und einen Rummel mit Spielautomaten für die Kinder. Weit und breit nichts als geknotete Halstücher und aufgerollte Hosenbeine, Liegestühle und Esel, Sandkörner im Eis und kiesiger Strand.
    Mittlerweile verschlug es niemanden mehr zum Urlaubmachen nach Southend. Jetzt kamen nur noch diejenigen, die sonst nicht wussten wohin.
    Den Pier gab es immer noch. An seinem äußersten Ende hielten sich, mehr schlecht als recht, eine Handvoll Souvenirgeschäfte. Dahinter sah man Canvey Island und ein Stück weiter die Silhouette der alten Ölraffinerie von Shell Haven. Die Läden waren die gleichen, wie man sie auf jeder beliebigen britischen Flaniermeile finden konnte, nur etwas schäbiger. Die Beleuchtung der Buden und Fahrgeschäfte entlang der Küstenpromenade wirkte grell und bedrückend zugleich. Die elektronischen Soundeffekte und immer gleichen Tonfolgen der Jingles klangen wie eine außer Kontrolle geratene, amphetamin-geschwängerte Stockhausen-Symphonie. In den Spielhallen übten sich Zombies mit bleichen Gesichtern und toten Augen Tag und Nacht im Zielschießen und trieben ihre Highscores als Video-Killer in die Höhe, während in den Schatten ihrer Bildschirme Unholde mit hässlichen Fratzen auf Unachtsame oder allzu

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