Jaeger
geht es ihm?«
Sie wurde nach ihrem Namen gefragt und wie ihr Verhältnis zu dem Patienten sei.
»Ich … ich bin seine Ehefrau.« Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Sie wurde gebeten zu warten. Stille. Der Schlag ihres Herzens war lauter als die Musik in der Warteschleife. Dann war die Krankenschwester wieder da.
»Sein Zustand ist stabil«, teilte sie Marina mit. »Er ist vor einiger Zeit aus der OP gekommen und ruht jetzt.«
»Gott sei Dank …«
Die Schwester wollte noch etwas hinzufügen, schien dann aber durch jemanden abgelenkt zu werden. »Kann ich … Dürfte ich Sie bitten, noch kurz dranzubleiben?«
Marina knallte den Hörer auf.
Sie würde niemandem Gelegenheit geben, den Anruf zurückzuverfolgen.
Sie wollte sich wieder aufs Bett setzen, war aber noch ganz zittrig nach dem Gespräch. Sie wiederholte die Worte in ihrem Kopf. Stabil. Aus der OP gekommen.
Wieder spürte sie diesen dumpfen Schmerz in ihrem Herzen, diese Sehnsucht. Sie wäre jetzt so gerne bei ihm gewesen. Sie brauchte ihn. Sie ließ den Blick durch den Raum schweifen. Dann durchquerte sie mit raschen Schritten das Zimmer und spähte aus dem Fenster. Es war dunkel draußen, der Parkplatz durch die Laternen ein Meer aus Licht- und Schattenflecken. Dahinter lag die A 120 .
Marina betrachtete das Handy auf dem Bett. Es hatte nicht geklingelt. Ihr war gesagt worden, dass sie den nächsten Anruf erst für morgen früh erwarten solle. Erneut sah sie zum Fenster, zur Straße.
Sie können mich nicht die ganze Zeit beobachten , dachte sie. Nicht rund um die Uhr . Ihr Herz schlug schneller, und sie fasste einen Entschluss. Sie nahm die Autoschlüssel. Verließ das Zimmer.
Unten war es wie ausgestorben. Niemand am Empfang, kein Gast in der Lobby. Sie eilte zum Eingang und trat ins Freie. Dort blieb sie zunächst stehen und schaute sich um. Nahm jeden Winkel, jede Ecke des Parkplatzes in Augenschein. Auch die Straße suchte sie ab.
Weit und breit keine Menschenseele.
Zügig, aber ohne zu rennen, machte sie sich auf den Weg zu ihrem Wagen. Sie wollte keine Aufmerksamkeit erregen. Sie stieg ein, ließ den Motor an, und fuhr, nachdem sie sich ein letztes Mal umgesehen hatte, vom Parkplatz. In östliche Richtung auf den Zubringer zur A 120 . Zu Phil. Die ganze Zeit über schaute sie in den Rückspiegel, ob sich ein anderer Wagen an ihre Fersen geheftet hatte.
Es herrschte wenig Verkehr, und sie schien keinen Verfolger zu haben. Niemand fuhr zeitgleich mit ihr auf die A 120 . Erleichtert atmete sie auf. Erlaubte sich ein kleines Lächeln. Schließlich kicherte sie sogar ausgelassen.
Niemand war ihr gefolgt. Sie wusste es. Hatte es im Gefühl. Sie erreichte den Kreisverkehr und war drauf und dran, links abzubiegen und Gas zu geben.
Love Will Tear Us Apart.
Ihr Herz wurde zu Stein. Sie stellte das Handy auf Freisprechen.
»Na, war da jemand ungezogen?«
Die Stimme. Schon wieder diese gottverdammte widerliche Stimme.
»Ich … keine Ahnung, was Sie meinen …«
»Wir haben Ihnen doch gesagt, Sie sollen im Hotel bleiben. Da sind Sie jetzt aber nicht, oder?«
»Ich … ich …« Ihre Hände am Lenkrad begannen zu zittern.
»Wenden Sie, fahren Sie zurück zum Hotel und warten Sie da bis morgen früh auf weitere Anweisungen.«
Der Kreisverkehr lag unmittelbar vor ihr. Sie blinkte, fuhr hinein und dann die Straße zurück, auf der sie gekommen war.
»Brav«, lobte die Stimme.
Erneut tauchte das Hotel vor ihr auf. Sie setzte den Blinker und bog auf den Parkplatz ein. Lenkte den Wagen in ihre alte Parklücke.
»Tun Sie einfach nur, was Ihnen gesagt wird, Marina. Dann sind alle glücklich.«
Ein Klicken in der Leitung. Die Verbindung war weg.
Wie betäubt saß Marina da.
Es dauerte lange, bis sie aussteigen konnte. Sie machte sich auf den Weg in ihr Zimmer.
Um die ganze Nacht an die Decke zu starren.
22 Tyrell erschrak, als er in die Nachtluft hinaustrat. Es war ein milder Apriltag gewesen, und die plötzliche Kälte überraschte ihn. Aber was wusste er schon? Es war lange her, dass er eine Nacht im Freien erlebt hatte. Die letzten Jahre über hatte er sie immer nur durchs Zellenfenster gesehen.
Er fröstelte. Zwar hatte sein Oberteil lange Ärmel, trotzdem wünschte er, er hätte sich noch einen Pullover übergezogen. Eine zaghafte Stimme in seinem Kopf riet ihm, das weinende Kind zu vergessen, zurück in den Wohnwagen zu gehen und dort zu bleiben, wo es sicher und warm war. Es fiel ihm schwer, nicht auf die Stimme zu hören. Er
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