Jäger der Dämmerung
festhalten.« Nicht wenn er frei sein wollte, und sein Dad hatte seine Mutter genug geliebt, um sie gehen zu lassen. »Sie zog zu dem Menschen und wollte mich nachholen, sowie sie sich ein neues Zuhause eingerichtet hatte. Aber …«
Aber sie richtete nie eines ein, und Jude sah sie nie wieder.
Er wandte den Blick von Erin ab, weil er ihr nicht mehr in die Augen sehen konnte. »Ein Raubtier griff ihren Menschen an. Sie warf sich dazwischen, versuchte, ihn zu retten – und er tötete sie beide.«
Jude hörte, wie Erin die Luft anhielt, drehte sich jedoch nicht wieder zu ihr. Noch nicht. Diese verfluchte Geschichte, zusätzlich zu dem, was sie sowieso schon durchmachte …
Oh ja, sie wird wegrennen. So schnell sie kann.
Dennoch verdiente sie die Wahrheit. Vor allem wenn das Tier in ihm Recht hatte.
»Als mein Dad es erfuhr, brach er zusammen.« Anders konnte man es nicht ausdrücken. Sein Vater war vor Judes Augen zusammengebrochen. »Er gab sich die Schuld. Er dachte, hätte er meine Mutter dazu bringen können, ihn zu lieben, wäre sie nicht gestorben.«
»Liebe lässt sich nicht erzwingen.«
Nein. Dasselbe hatte auch sein Vater an dem Abend zu ihm gesagt, als seine Mutter ging.
Sein Vater hatte seine Mutter so sehr geliebt, dass er, als sie fort war, ebenfalls aus der Welt zu gleiten schien. »Er jagte das Raubtier.«
Erin legte ihre Hände auf seine, die er in seinem Schoß geballt hatte, und strich sanft über die Abdrücke seiner Krallen.
Jude atmete tief ein und schloss die Augen. »Er kam nie wieder zurück.«
Sein Kummer machte ihn schwach, und das Raubtier musste sehr stark gewesen sein.
Stille.
Zu bedrückende Stille.
Judes Vater war von Wut und Trauer zerfressen gewesen.
Und er hatte ihn alleingelassen, den Jungen, an dessen Seele dieselbe Wut, dieselbe Trauer nagten.
Ihm fielen die Zwillinge ein. In den beiden Jungen hatte er sich selbst wiedererkannt.
»Wann kommt Mom zurück?« Wie blöd! Er war zwölf gewesen, hatte über den Tod Bescheid gewusst, ja, und doch fragte er seinen Großvater wieder und wieder, »Wo ist Dad?«
Fragte und fragte.
Und zerbrach, als seine Eltern nicht mehr wiederkamen und er Tage später die Särge sah. Der Holzsarg seiner Mutter war mit roten Rosen bedeckt gewesen.
Denn auch sie liebte rote Rosen, genau wie Erin.
Genau wie Erin.
»Wie alt warst du da?«
Er zuckte zusammen. »Zwölf.«
»Und wo kamst du hin?«
Das war nicht die Frage, die er erwartet hatte. »Mein Grandpa Joe, der Dad meiner Mom, nahm mich zu sich.« Grandpa Joe war sein Anker gewesen, und als er endlich seinen Kummer und seinen Zorn losließ, war sein Grandpa für ihn dagewesen.
»Was ist mit dem Raubtier passiert?«
Vor diesem Teil hatte Jude sich gefürchtet. Er blickte auf Erins Hände, die neben seinen so zart wirkten. »Als ich einundzwanzig wurde, starb Grandpa Joe.« Dann war niemand mehr da, der ihn zurückhielt, niemand, der trauern würde, falls Jude versagte. »Am nächsten Tag begann ich zu jagen.«
Und er hörte nicht auf, bis er seine Beute fand. »Ich jagte den Mistkerl und riss ihm die Kehle auf.« Heiß war ihm das Blut über die Zunge geflossen. Der Tiger war so durstig gewesen. »Ich stellte fest, dass ich gut im Jagen war.« Im Töten. Zu gut.
»Deshalb bist du bei Night Watch gelandet.«
Jetzt erst sah er ihr wieder ins Gesicht. »Ja. Pak hörte von mir. Bis dahin hatte ich mich schon in die Tiefen der Welt der Anderen bewegt.« Er hatte Monate gebraucht, aber er hatte den Mistkerl gefunden. »Pak bot mir einen Job an.« Ein Ventil für den Zorn, der noch in ihm brodelte.
»Warum hast du den Job angenommen?«
Aha? Wieder eine Frage, mit der er nicht gerechnet hatte. »Weil der Tiger in mir immerfort an seiner Leine zerrte und ihn das Jagen befriedigt.« Mich befriedigt.
Sie sagte nichts. Bekam sie jetzt Angst? Hielt sie ihn nun für ebenso durchgeknallt wie das Arschloch, das hinter ihr her war?
Ein Rachemord. Ja, nichts Hübsches und Sauberes. Nichts, was ein Guter tun sollte.
Aber er hatte nie behauptet, dass er gut war. In ihm gab es dunkle Stellen, verflucht dunkle.
Deshalb war er so gut in seinem Job. Es war leicht, die kranken Freaks zu jagen, wenn man wie sie denken konnte.
»Hab keine Angst vor mir«, sagte er, was leider eher wie eine Forderung als eine Bitte herauskam. »Ich schwöre, Erin, ich bin nicht wie der Dreckskerl da draußen. Ich würde dir nie, niemals wehtun.«
Schweigen.
Er wandte sich ab und sprang vom Bett. »I-ich werde
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