Jäger der Dämmerung
während auch schon ein ohrenbetäubender Knall ertönte.
Feuer loderte an seiner rechten Seite auf. Mist!
Er umfasste den qualmenden Doppellauf und entwand dem Alten die Waffe.
Der Kerl wimmerte.
Jude sah ihn wütend an. Er spürte das Blut, das ihm rechts über die Seite lief, und wollte nicht einmal hinsehen. »Jetzt hast du mich sauer gemacht«, knurrte er, was sich verzerrt anhörte, weil seine Ohren vom Knall schrillten. »Du hast keinen Schimmer, mit wem du dich anlegst.«
Der Mann riss die Augen weit auf, und vor Angst erschlaffte sein faltiges Gesicht.
»Ah, ich sehe, dir dämmert’s allmählich.« Jude warf das Gewehr beiseite. Der Tag, an dem er eine Waffe den Krallen vorzog, nun, der würde wohl nie kommen.
Der Gnom stolperte rückwärts und griff blind hinter sich nach der Tür.
Ohne auf seinen Schmerz zu achten, sprang Jude vor. Er packte den Alten an der Gurgel und hob ihn in die Höhe. »Du gehst nirgends hin.« Die Wunde tat weh! »Erin?«
Ein ersticktes Stöhnen. Er blickte sich um und sah, dass sie sich gerade auf die Knie aufrichtete, ihr Haar in den Nacken warf und ihn böse anfunkelte. »Du hättest auch einfach sagen können, ›duck dich‹!«
Duck dich oder juck mich? Genau konnte Jude es nicht sagen, denn es klingelte immer noch in seinen Ohren, aber vor Publikum tippte er eher auf Ersteres.
»Oh, verdammt, Jude!« Las er von ihren Lippen ab, als sie schon aufsprang und zu ihm gelaufen kam. »Du blutest!«
Wie ein Schwein.
Sie streckte die Hand nach seinem Hemd aus, das schon so vollgesogen war, dass es ihm auf der Haut festklebte. Oder dem, was noch an Haut darunter übrig war.
Seine Finger drückten den Hals des Alten fester zusammen, so dass ein Pfeifen aus dessen Mund ertönte.
»Ich muss mich verwandeln«, murmelte er. Ihm blieb keine andere Wahl. Der Tiger war stärker als der Mann, und in seiner Gestalt heilte die Wunde rascher.
Erin nickte.
Plötzlich fing der Gnom wild zu zappeln an, trat und hieb nach Jude. »Nein, nein, nein!«, krächzte er.
Das war das Letzte, was Jude jetzt brauchte. Er konnte kaum hören, und er roch immer noch nichts.
Kurz: Er war in einer Superverfassung für einen Jäger!
Knurrend knallte er den Kopf des Gnoms gegen die Mauer. Es folgte ein dumpfer Schlag, und dem Kerl fielen die Augen zu. Jude ließ ihn auf den Boden fallen.
Und kippte direkt neben ihn.
Erin sank auf die Knie. »Jude, was kann ich …«
Ein Feuersturm tobte durch seine Adern. Der Tiger brüllte, und Jude bog seinen Rücken in Erwartung des üblichen Brennens, das mit dem Wandel einherging. Der Tiger kämpfte sich an die Oberfläche, während der Mann in den Schmerz zurücktauchte und dem Tier freien Lauf ließ.
Knochen knackten; Fell spross ihm aus den Händen und den Armen. Das war es, was er brauchte …
»Hinter dir!«, schrie Erin.
Er bemerkte, wie ihre Arme an ihm zerrten und versuchten, ihn dichter zu ihr zu ziehen. Fühlen tat er allerdings nichts, denn dazu war die Wandlung viel zu intensiv.
Jude zwang sich, nach hinten zu sehen. Gefangen zwischen Mann und Bestie, hatte er seine liebe Not, sich zu konzentrieren.
Glühend gelbe Augen starrten ihn aus der Dunkelheit des Dickichts an.
Ach du Scheiße! Der alte Mann hatte in den letzten Momenten vor seinem K.o. gar keine Angst vor ihm gehabt. Nein, nicht vor ihm.
Der Wolf preschte aus dem Dickicht, muskelbepackt unter dem schwarzen Fell und das Maul weit aufgerissen. Die messerscharfen Zähne glänzten.
Er setzte direkt auf sie zu.
Jude öffnete den Mund zum Schrei, konnte jedoch nicht mehr sprechen. Das Inferno des Wandels tobte in ihm. Süßer, süßer Schmerz.
Nein, der Mann konnte nicht mehr sprechen, aber der Tiger brüllte drohend in die Nacht – dem Wolf entgegen.
Vierzehntes Kapitel
Am schwächsten war ein Gestaltwandler in jenem Moment, in dem er sich vom Menschen zum Tier verwandelte. Diese Wandlung vollzog sich nicht von jetzt auf gleich. Sie ging schnell, keine Frage, doch die Knochen mussten sich verbiegen, neu aneinanderfügen, das Fleisch sich neu ordnen und …
Es war brutal. Gnadenlos.
Und gefährlich.
Erin hatte schon einige Wandlungen miterlebt. Sie kannte das Spiel. Und sie wusste, dass Jude im Augenblick gar nichts gegen den Wolf ausrichten konnte.
Also tat sie das Einzige, was sie tun konnte.
Sie rannte vor ihn. Der Tiger fauchte wütend hinter ihr, aber er konnte noch nicht angreifen. Er war zwischen Mann und Tier gefangen.
Wieder einmal hatte sie den Wolf nicht
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