Jäger der Dämmerung
er hatte sich alles andere als ferngehalten. Vielmehr hatte er sich geradewegs auf sie gestürzt und war süchtig nach ihr geworden.
Nach dieser süßen Wölfin.
Ein Tiger, der sich mit einer Wölfin einließ! Sein Großvater, so er denn irgendwo war und zusah, dürfte sich ein zweites Loch in seinen gestreiften Hintern lachen.
Ihre Hand verschwand. »Wie viele Wölfe hast du richtig kennengelernt, außer mir?«
Er zog die Brauen hoch und ignorierte den Schmerz, der zu einem dumpfen Pochen in seiner Seite wurde. Wenigstens heilte die Wunde. »Ähm, du meinst, außer dem Arschloch, das hinter dir her ist?«
Ohne den Blick von ihm abzuwenden, kickte sie die Tür hinter sich zu, während ihre Augen zu Schlitzen wurden. »Keiner ist vollkommen, Jude. Kein Wolf, kein Tiger. Das solltest du eigentlich wissen.«
Nein, sie wollte ihm jetzt hoffentlich nicht seine Vergangenheit um die Ohren hauen! Er packte ihre Schultern und drückte sie an die schlammbraune Wand. »Versuch das gar nicht erst, Süße.« Er hatte ihr vertraut, ihr seine Seele entblößt. Während sie was tat? Ihre Geheimnisse vor ihm hütete? Er hatte doch versucht, ihr zu helfen!
Aber die Frau verfolgte ihre ganz eigenen Pläne.
Wölfin.
»Ich wollte nicht«, begann sie, brach jedoch gleich wieder ab und schüttelte den Kopf, dass ihr seidiges Haar flog. Seine Nase funktionierte wieder. Er hatte sich verloren gefühlt, ohne diesen wundervollen Duft, der ihn neckte. Den schwindelerregenden Duft von Erin.
»Und was wolltest du?«, fragte er. Ihr Mund war ganz nahe, verlockte ihn, doch er würde sie nicht küssen. Nicht jetzt. Denn er konnte verdammt nochmal nicht umhin, sich zu fragen, welche Geheimnisse sie noch hatte.
Sie benetzte sich die Lippen.
Das war eindeutig ein Tick von ihr, aber, verdammt, er wirkte sehr erregend auf ihn!
»Erinnerst du dich, was du mir über die einsamen Wölfe erzählt hast?«
Nein, er hatte keine Ahnung.
Seine Miene musste genau das gesagt haben, denn sie bedachte ihn mit einem wütenden Blick. »Wie durchgeknallt muss man denn sein?«, zitierte sie ihn, »um aus dem Rudel verstoßen zu werden?«
Okay, er erinnerte sich. Jude bemühte sich wirklich sehr, nicht das Gesicht zu verziehen. Ja, er hatte sich abfällig über einsame Wölfe geäußert, aber nachdem einer von denen seine Eltern ausgelöscht hatte …
»Ich wurde ausgestoßen.« Vollkommen gefasst. Noch dazu ausgesprochen, während sie ihn mit festem Blick betrachtete. »Sie dachten, ich wäre schwach, unwürdig, zum Rudel zu gehören.« Wieder eine Pause. »Als ich mich nicht wandeln konnte, war ich endgültig draußen.«
Judes Hände ballten sich zu Fäusten. Entweder das oder er würde sie packen und fest an sich drücken. Und er konnte sie nicht in die Arme nehmen. Nicht jetzt, nachdem klargeworden war, dass sie ihm dieses Geheimnis vorenthalten hatte, nachdem er ihr seine Seele entblößte.
Dabei hätte er es sich doch denken können.
Er behauptet, dass ich seine Gefährtin bin.
Und der Irre, der hinter ihr her war, war ein Wolf. Genau wie sie. Gleich und gleich eben.
Also warum brüllte das Tier in ihm, dass sie seine Gefährtin wäre?
Keine Frau konnte gleichzeitig für zwei Gestaltwandler bestimmt sein.
»Meine Mutter brachte mich zu meinem Vater. Sie lieferte mich wortlos vor seiner Tür ab und verschwand.« Ihre Stimme zitterte. »Fünfzehn Jahre lang hatte sie mich von ihm ferngehalten, denn zwar waren sie Gefährten « – bei ihr klang das Wort wie ein Fluch –, »aber sie liebte ihn nicht, denn er gehörte nicht zum Rudel.«
Jude versuchte nachzudenken, was ihm schwerfiel, weil Erin so nahe war und ihn immer noch seine Wut beherrschte. »Deine Entwicklung hätte verzögert sein können. Der Wandel tritt erst mit der Pubertät ein, und wenn du erst fünfzehn warst …«
Sie verneinte stumm. »Ich kann mich nicht wandeln, Jude. Die Krallen und die Zähne sind alles, was ich habe. Was ich jemals haben werde. Für mich gibt es keine wilden Hetzjagden durch den Wald. Kein Tier, das ausbrechen kann. Ich bin nur das, was du siehst. Und das reichte dem Rudel meiner Mutter nicht.«
Der Mutter, die heute Nacht auftauchte und ihn angreifen wollte. »Warum war sie hier?« Er glaubte nicht an Zufälle.
»Das weiß ich nicht.«
Jude schnaubte.
»Wirklich nicht! Ich habe sie seit damals nicht mehr gesehen – bis heute Abend. Ich … ich erinnerte mich an diese Augen.« Sie machte den Rücken so gerade, dass sie steif wirkte. »Mein Vater
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