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Jäger der Macht: Roman (German Edition)

Jäger der Macht: Roman (German Edition)

Titel: Jäger der Macht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Sanderson
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hörte er noch immer den Schuss und sah das Blut auf den Ziegeln. Er hatte das Rauland verlassen, war in die Stadt zurückgekehrt und hatte sich der Pflicht gestellt, die er seinem Haus gegenüber hatte, nachdem sein Onkel verstorben war.
    Es war fünf Monate und eine ganze Welt weit entfernt, aber noch immer hörte er diesen Schuss – klar und deutlich wie der auseinanderbrechende Himmel.
    Hinter ihm vernahm er musikalisches Lachen, das aus der Wärme des Zimmers herausdrang. Das Cett-Haus war ein großes Gebäude voller teurer Hölzer, weicher Teppiche und glitzernder Kerzenleuchter. Auf dem Balkon gesellte sich niemand zu ihm.
    Von seiner hohen Position aus hatte er einen guten Blick auf die Lichter unten auf der Demoux-Promenade. Eine Doppelreihe heller elektrischer Lampen spendete eine gleichmäßige, strahlende Helle. Sie glühten wie Blasen entlang des breiten Boulevards, der von dem noch breiteren Kanal flankiert wurde; das stille Wasser spiegelte das Licht. Eine abendliche Lokomotive rief ihm einen Gruß zu, während sie durch das ferne Zentrum der Stadt dampfte und ihren dunkleren Rauch unter den Nebel mischte.
    Entlang der Demoux-Promenade hatte Wax einen guten Blick sowohl auf das Eisendornhaus als auch auf den Tekiel-Turm, die sich rechts und links des Kanals befanden. Beide waren noch unvollendet, aber die Stahlstreben reckten sich bereits hoch in den Himmel. Schwindelerregend hoch.
    Die Architekten machten immer wieder neue Angaben darüber, wie hoch sie zu bauen gedachten; jeder versuchte den anderen auszustechen. Auf der Gesellschaft, die er gerade besuchte, hatte er glaubhafte Gerüchte gehört, denen zufolge die Gebäude mehr als fünfzig Stockwerke haben würden. Niemand wusste, welches am Ende das höhere sein würde, auch wenn bereits viele Wetten darüber abgeschlossen wurden.
    Wax atmete den Nebel ein. Draußen im Rauland wäre das Cett-Haus – das drei Stockwerke besaß – so hoch erschienen, wie ein Haus nur sein konnte. Doch hier wirkte es geradezu zwergenhaft. Die Welt hatte sich in den Jahren, die er fern der Stadt verbracht hatte, verändert. Sie war erwachsen geworden, Lichter waren erfunden worden, die kein Feuer benötigten, und Gebäude, die fast höher als der Nebel selbst in den Himmel stiegen. Als Wax auf die breite Straße am Rande des Fünften Oktanten hinunterschaute, fühlte er sich plötzlich sehr, sehr alt.
    » Herr Waxillium?«, fragte eine Stimme hinter ihm.
    Er drehte sich um und stellte fest, dass ihn eine ältere Frau – Herrin Aving Cett – durch die Tür ansah. Sie hatte ihr graues Haar zu einem Knoten zusammengebunden und trug eine Rubinkette um den Hals. » Beim Einträchtigen, Sie werden sich da draußen noch erkälten! Kommen Sie doch herein; ein paar Leute möchten mit Ihnen sprechen.«
    » Ich werde gleich bei ihnen sein«, sagte Wax. » Ich will nur noch ein bisschen Luft holen.«
    Herrin Cett runzelte die Stirn, zog sich aber zurück. Sie wusste nicht, was sie von ihm halten sollte; das wusste niemand. Manche betrachteten ihn als den rätselhaften Erben der Ladrian-Familie, der mit seltsamen Geschichten aus den Gebieten jenseits der Berge in Verbindung gebracht wurde. Die anderen sahen in ihm einen unkultivierten, bäuerlichen Hanswurst. Er vermutete, dass er beides war.
    Den ganzen Abend hindurch hatte er sich gezeigt. Es wurde von ihm erwartet, dass er nach einer Ehefrau Ausschau hielt, und fast jeder wusste das. Das Haus Ladrian war nach den unklugen Geschäften seines Onkels zahlungsunfähig geworden, und der einfachste Weg zur Behebung dieses Umstands war eine Heirat. Leider war es seinem Onkel außerdem gelungen, drei Viertel der städtischen Oberschicht gegen sich aufzubringen.
    Wax lehnte sich auf dem Balkon vor. Die Sterrion-Revolver unter seinen Armen stachen ihm in die Seite. Mit ihren langen Läufen waren sie eigentlich nicht dazu geeignet, in Holstern unter den Armen getragen zu werden. Sie hatten ihn bereits während des ganzen Abends gestört.
    Er sollte zurück zu den anderen gehen, mit ihnen plaudern und versuchen, den Ruf des Hauses Ladrian wiederherzustellen. Aber der Gedanke an diesen überfüllten Raum, in dem es so heiß und eng war, dass man kaum zu atmen vermochte …
    Bevor er es sich anders überlegen konnte, hatte er sich über das Balkongeländer geschwungen und fiel drei Stockwerke hinunter auf den Boden zu. Er verbrannte Stahl, warf eine leere Patronenhülse hinter sich und drückte dank seiner Allomantie dagegen. Sein

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