Jäger der Nacht (German Edition)
Brandmauer zwischen ihr und der drohenden Gefahr. Die Dunkelheit würde nicht noch jemandem das Leben nehmen. Entschlossen warf sie sich dem ersten Bild entgegen.
Zuerst wühlten unklare Gefühle sie auf, dann teilte sich der dunkle Vorhang, und sie erkannte das Gesicht der Frau, die er töten wollte. Noch war alles ruhig und klar – er verfolgte sie nur, mordete noch nicht – und sie konnte sich auf Einzelheiten konzentrieren, um so vielleicht das Opfer zu identifizieren. Als das Bild langsam schwächer wurde, glaubte sie genügend Informationen zu haben. Sie wollte sich gerade herausziehen, als sie spürte, dass noch mehr kommen wollte.
Blut tropfte jetzt von blassgrünen Wänden, wurde von einem nur wenig dunkleren Teppich aufgesogen, spritzte auf eine Kommunikationskonsole. Ein widerwärtiger süßlicher Geruch nach Blut und Fäulnis kam auf und trotz ihres Widerwillens musste sie ihm in ein Badezimmer folgen, dessen Boden ganz mit Blut bedeckt war, das unter seinen Füßen aufspritzte.
Ihre Seele schauderte unter der Last der Bilder. Das Blutbad, der Geruch, markerschütternde Schreie, die an ihr inneres Ohr drange n – all das brach nun unaufhaltsam über sie herein. In diesem Augenblick begriff sie erst wirklich, dass ihr altes Bewusstsein nicht überlebt hatte.
Sie konnte diesen bluttriefenden Visionen nichts mehr entgegensetzen und sie wusste, es würde nicht aufhören, immer und immer wieder würde es sie in diese endlose Spirale der Gewalt hineinziehen, und diesmal würde sie es nicht überleben.
Die Kassandraspirale, die schlimmste aller Torturen, die ihre Opfer aller Verstandesfunktionen und Empfindungen beraubte, sodass sie danach nur noch stumpf und leer vor sich hin vegetierten.
Überleben konnte man nur durch den sofortigen Eingriff eines M-Medialen.
Aber hier gab es keine M-Medialen und sie ertrank, versank, erstickte. Blut schwappte an ihr hoch, verschlang die Füße, die Bein e …
22
Nein!
Etwas in ihrem Verstand hatte aufgeschrien. Durch seinen Trotz, seinen Widerstand kam sie wieder zur Besinnung. Sie musste sich sofort da herausziehen. Sonst würden der Rat, die M-Medialen und der Clan doch noch gewinnen.
Diese entsetzliche Vorstellung rettete sie. Faith schüttelte die Panik ab und versuchte wieder klar zu denken. Die anderen sollten nicht gewinnen, Vaughn sollte keine schwache Frau lieben, die er immer wieder retten musste.
Die zurückgehaltene Wut eines ganzen Lebens gab ihr die Kraft, dem Zusammenbruch einen Riegel vorzuschieben, eine Schutzwand in ihrem Kopf zu errichten. Doch so leicht konnte man der Kassandraspirale nicht entkommen. Sie prallte mit solcher Macht gegen die Wand, dass sich der Schild nach außen wölbte. Aber er zerbrach nicht – noch blieb ihr ein wenig Zeit, bevor Kassandras Bilderflut alles unter sich begraben würde. Sie zwang sich, nicht daran zu denken, und flickte eilig die Risse, die der beginnende Zusammenbruch bislang hervorgerufen hatte.
Harte Arbeit, sehr, sehr harte Arbeit.
Als steckte ihr Verstand in einem Schraubstock, aus dem ihn nur ihr unbändiger Zorn, ihre ungezügelte Rachgier befreien konnte n – und der Wunsch, dass Vaughn und sein Jaguar stolz auf sie wären. Ohne den Einsatz dieser starken Emotionen würde sie ein Krüppel bleiben, in allem auf andere angewiesen. Das durfte nicht geschehen!
Mit jedem geheilten Riss bog sich der Schild weniger stark nach außen. Ein neuronales Muster, das ihr schon früher an kritischen Punkten ihrer geschäftlichen Vorhersagen geholfen hatte, unterstützte sie auch jetzt, ohne dass ihr das richtig bewusst war.
Diesem Muster überließ sie es, die „leichteren“ Risse zu schließen, während sie selbst sich den kaum wahrnehmbaren Schäden in ihrem innersten Kern zuwandte. Erst nachdem sie die Arbeit dort beendet hatte, kam sie wieder zurück. Ihr Geist war jetzt ruhig, die Dunkelheit gebannt, der Zusammenbruch abgewendet. Erschöpft, aber innerlich triumphierend kehrte sie in ihr äußeres Bewusstsein zurück und öffnete die Augen. Sie lag sicher in Vaughns starken Armen.
„Du warst in Schwierigkeiten, ich konnte es riechen.“
Sie wandte den Kopf und sah ihn an. „Und ich bin selbst herausgekommen.“
„Ich wusste, du kannst es.“ Er drehte sich auf den Rücken und legte einen Arm um sie, indes sie sich an seine Brust schmiegte.
„Warum hast du nicht eingegriffen?“
„Du hast gewusst, was du tust.“
Ihr wurde klar, dass Vaughn ihr niemals gestatten würde, sich
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