Jäger der Nacht (German Edition)
einmal bitten wegzurücken. Vielleicht hatte sie ihre Fähigkeiten, mit den vielen neuen Reizen umzugehen, schon überstrapaziert.
„Glauben Sie nicht alles, was man Ihnen erzählt hat, Faith.“
Zum ersten Mal sprach er ihren Namen aus, und bei ihm klang er interessant und anders, war nicht nur eine nützliche Bezeichnung, um sie zu rufen, sonder n … Sie konnte es nicht beschreiben, aber so hatte sie ihn noch nie gehört.
„Der Rat ist ein Experte darin, sich Lügen auszudenken, die das Ende der eigenen Leute beschleunigen.“
Ohne etwas zu sagen, stand Faith auf und ging zur Tür, ihre Schritte waren unsicher, aber bestimmt. „Ich muss an die Luft.“ Sie trat in die Nacht hinaus, griff nach dem Geländer der Veranda und tat in der kalten Luft ein paar tiefe Atemzüge.
Sekunden später spürte sie Vaughns heißen Körper neben sich und war nicht überrascht. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen das Geländer und sah sie an. Als er die Hand hob, schüttelte sie den Kopf. „Bitte nicht.“
Er hielt inne. „Sie sind stark genug.“
„Nein, das bin ich nicht. Wenn ich es wäre, hätte ich diesen Visionen ins Gesicht gesehen, anstatt davonzulaufen, und meine Schwester könnte heute noch leben.“ Nun war die Wahrheit heraus, die sie wie ein Geheimnis gehütet hatte, seit ihr Vater ihr von Marines Tod erzählt hatte. „Wenn ich stark wäre, hätte ich verstanden, was ich dort gesehen habe.“ Sie starrte in den dunklen Wald, hier war die Dunkelheit ein Geschenk und kein Fluch.
„Schon als Kind habe ich Dinge gesehen. Schöne, nützliche Dinge. Ich wusste, ob die Nachfrage steigt oder sinkt. Wusste, ob eine neue Erfindung greifen würde, sodass sich weitere Investitionen lohnten. Ich wusste, ob eine Geschäftgründung Erfolg haben würde.“ Ihre Hände umklammerten das hölzerne Geländer und sie spürte, wie ein Anflug von Chaos ganz hinten in ihrem Verstand auftauchte, ihre Psyche bedrohte. So begann der Wahnsinn – wenn man körperliche Reaktionen nicht mehr unter Kontrolle hatte. „Ich habe weder Blut noch Tod gesehen. Und schon gar keinen Mord.“
„Früher haben V-Mediale das gesehen.“ Vaughns Stimme war ein dunkles Schnurren, das verstörend tief in ihr vibrierte. „Sie haben Katastrophen und Morde, Schmerzen und Schrecken vorhergesehen.“
Endlich sah sie ihn an. „Kein Wunder, dass sie verrückt geworden sind.“
„Nur einige von ihnen.“
Aber jetzt gingen alle V-Medialen diesem Schicksal entgegen. Sie wusste, er hatte das sagen wollen, weigerte sich aber, es zu akzeptieren. Zu viel. Es war einfach zu viel. „Ich brauche Zeit, um das alles zusammenzukriegen.“
Sie hatte erwartet, er werde sie drängen, wie er es seit ihrer ersten Begegnung getan hatte. Aber er nickte nur. „Gehen Sie wieder hinein.“ Er zeigte mit dem Kopf in Richtung Tür. „Sascha schlägt in einem der Zimmer ein Bett für Sie auf.“
„Kann ich Sie etwas fragen?“
„Bitte.“
„Sascha und Lucas – wie ist das möglich?“ Sie konnte nicht begreifen, wie eine Kardinalmediale die Trennung vom Medialnet überleben konnte, und noch weniger, wie sie einen Zugang zur Welt der Gestaltwandler gefunden hatte.
Vaughns Züge veränderten sich ein wenig. „Sehen Sie das hier?“ Er hob den rechten Arm und sie sah zum ersten Mal die Tätowierung auf seinem Oberarm. Drei gezackte Linien, wie die Male auf Lucas’ Gesicht. „Ich bin ein Wächter. Meine Loyalität gilt Lucas und Sascha. Und Sie könnten eine Gefahr für sie sein.“
Warum fühlte sich etwas in ihrer Brust so eigenartig an? „Würden Sie mich tatsächlich töten, wenn es notwendig wäre?“
„Ja.“ Die Katzenaugen schienen in der Dunkelheit zu glühen. „Also treiben Sie bloß kein falsches Spiel.“
„Ich kann gar nicht spielen.“ Sie konnte sich nicht daran erinnern, so etwas jemals getan zu haben. „Ich arbeite, seit ich den ersten verständlichen Satz von mir gegeben habe.“
6
Das Tier in Vaughn kratzte an den Wänden seines Verstandes, wollte Faith beschnuppern, als sie an ihm vorbei in die Hütte ging. Doch er ließ die Katze nicht los. Faiths Bewusstsein hing nur noch an einem seidenen Faden. Er wollte sie auf keinen Fall über den Abgrund stoßen und die Verbindung vollends zerreißen.
Denn in Wahrheit war er sich nicht so sicher, ob er sie, ohne zu zögern, töten könnte. Deshalb war er vorsichtig. Nicht alle Medialen waren so sanft und mitfühlend wie Sascha. Manche waren kaltblütige Mörder. Die DarkRiver-Leoparden
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