Jäger der Nacht (German Edition)
Konzentration.
Faith nickte. „Normalerweise sind meine Visionen sehr zielgerichtet. Selbst wenn es am Anfang noch nicht so ist, kann ich sie später genau einstellen. Aber bei diese n … konnte ich gar nichts tun. Wie bei einem Wagen, den ein anderer steuert.“ Das hatte sie am meisten beunruhigt. „Ich hatte keine Kontrolle, aber es war nicht chaotisch.“
Vaughns Hand legte sich auf ihren Nacken. Sie zuckte zusammen, entzog sich aber nicht. Er hatte recht – sie konnte zwar die Visionen nicht zurückdrängen, aber sie konnte ihre Kapazität erweitern, körperliche Reize zu ertragen. „Mehr aber nicht“, sagte sie sehr leise und blickte ihn an.
Sie war pragmatisch genug, um zu wissen, dass sie noch weit davon entfernt war, jeden Reiz zu verarbeiten. Im Moment half ihr das Adrenalin, die schwere, heiße Hand von Vaughn zu ertragen. Aber sie setzte sich unter Druck, und wenn der unausweichliche geistige Zerfall einsetzte, würde der Anfall noch schlimmer sein.
„Mal sehen“, sagte er genauso leise, und sie konnte den Ausdruck in seinen Augen nicht deuten. Vielleicht war es eine Herausforderung; sie hatte darüber in den zahllosen Büchern gelesen, die sie in der Einsamkeit ihres Hauses verschlungen hatte. Aufgrund ihrer Unersättlichkeit und ihrer Schnelligkeit hatte sie eine unglaubliche Menge von Wissen über sehr viele Dinge angesammelt. Aber ihr fehlten die Zusammenhänge. Besonders wenn es um Gestaltwandler und Menschen ging.
Sie entschied sich, wieder vernünftig zu sein, und wandte ihre Aufmerksamkeit erneut Sascha zu. „Nach ein paar Wochen sah ich mehr Einzelheiten. Blitzlichter, Teile eines Bildes, wie bei einem Puzzle.“ Ein weiteres Hobby, das sie davon abhielt, verrückt zu werden. Soweit eine V-Mediale das vermeiden konnte. „Aber ich hatte es immer noch nicht unter Kontrolle, weil ich die Teile nicht zusammensetzen konnte.“
Vaughns Daumen strich über ihre Haut und sie wandte den Kopf. „Was ist?“
„Warum sind Sie erst jetzt zu uns gekommen?“
Das Drängende in seinem Ton ließ sie aufhorchen. Ihr wurde plötzlich klar, dass man oft etwas von ihr forderte. „Vor dem Mord an Marine wusste ich nicht, ob diese Visionen real sind. Ich glaubte den Verstand zu verlieren – das passiert bei allen V-Medialen, normalerweise aber erst, wenn sie fünfzig oder älter sind. Ich dachte, der Verfall setze bei mir eben früher ein.“
„Davon habe ich noch nie etwas gehört“, flüsterte Sascha.
„Das ist nicht weiter überraschend. Die Clans möchten nicht, dass irgendjemand annimmt, sie würden defekte Mediale hervorbringen, und wenn der Verfall einsetzt, reicht unser Vermögen aus, um bis zum Lebensende diskret betreut zu werden.“ Sie versuchte, nicht über die Zukunft nachzudenken, die Vorstellung zu verdrängen, dass sie keine zusammenhängenden Sätze mehr sprechen oder Visionen nicht mehr von der Wirklichkeit würde unterscheiden können. Aber das hieß nicht, dass sie das Unausweichliche leugnete. Die Telepathen bei NightStar erhielten eine Spezialausbildung, um Gedankenströme abzublocken. Wenn die V-Medialen schließlich völlig zusammenbrachen, sorgten diese Leute dafür, dass der Irrsinn nicht ins Medialnet sickerte, und stellten neue Schutzschilde auf.
„Absoluter Bockmist, meiner Meinung nach.“ Vaughn griff nur etwas fester zu, aber es fühlte sich an wie eine Umarmung.
Eine Überlastungsreaktion war nur zu vermeiden, indem sie sich auf seine Worte konzentrierte. „Wie meinen Sie das?“
Seine Berührung wurde sanfter, obwohl sie sich nicht beklagt hatte, er streichelte sie nicht mehr. „Sie hatten auch Sascha davon überzeugt, sie würde wahnsinnig werden, nur weil sie nicht in ihre Schablone passte. Hört sich jetzt ganz genauso an.“
Faith sah zu Sascha. „Er begreift es nicht.“
„Was?“ Das klang mehr wie ein Knurren.
Sascha antwortete: „Die V-Medialen hatten schon vor Silentium die größte Rate an Geisteskrankheiten.“
Lucas nahm seine Frau in den Arm. Faith fragte sich, ob sie etwas überhört hatte, denn nach dem Ausdruck auf Saschas Gesicht zu schließen, hatte sie genau das gebraucht. „Aber das heißt nicht, dass alle davon betroffen waren, oder, Sascha-Schätzchen?“
Faith verfolgte mit den Augen, wie Lucas’ Hand über Saschas Locken glitt. Dann strich Vaughns Daumen wieder über ihre Haut. Sie hatte nicht aufgepasst und erstarrte, als sie merkte, dass er näher herangerückt war, bekam aber kein Wort heraus, konnte ihn nicht
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