Jäger der Nacht (German Edition)
erfolgreich, weil sie eben nicht zivilisiert wären.
Faith speicherte diese Information – die DarkRiver-Leoparden würden sicher mit Interesse hören, dass Saschas Abtrünnigkeit weitere Geschäfte nicht ausschloss. Die Verhandlungsposition der Gestaltwandler schien sich sogar noch verbessert zu haben. Zwar durften die Medialen nicht mit der Abtrünnigen sprechen, aber Geschäfte mit ihrem Rudel standen auf einem ganz anderen Blatt. Und der Rat war schlau genug, dem nicht im Weg zu stehen.
Als sich das Gespräch wieder anderen Themen zuwandte, hörte sie noch einen Augenblick zu und ging dann weiter. Zwei Stunden später, sie wollte schon ihre vermeintlichen Vorahnungen abschreiben, hörte sie etwas Merkwürdiges in einem kleinen, halb verborgenen Raum, den die Anwesenden mit Bedacht gewählt haben mussten.
„… haben in den letzten drei Monaten zwei Mitglieder verloren. Das liegt über dem statistischen Durchschnitt.“
„Ich dachte, es seien Unfälle gewesen.“
„Die Leichen sind nie geborgen worden. Wir haben nur die Aussagen der Polizeibeamten, dass es Unfälle waren.“
„Und wir wissen, wer die Fäden bei der Polizei in der Hand hält.“
Äußerst interessiert drückte sich Faith in eine Ecke und versuchte, nicht aufzufallen.
„Ich habe gehört, die Sharma-Loeb-Familie hat vor zwei Jahren unter ähnlich ungeklärten Umständen eine Frau verloren.“
„Seit unserem letzten Gespräch habe ich noch anderen Fällen von verschwundenen Personen nachgespürt. Ganz egal, was man davon hält, es sind zu viele, um sie wegzudiskutieren.“
„Hast du eine Idee, was es sein könnte?“
„Es gibt Gerüchte, dass einige Teile des Trainings nicht funktionieren.“
Sehr schlau, dachte Faith. Der Sprecher hatte bewusst weder den Begriff „Silentium“ noch den Begriff „Programm“ benutzt, die den Netkopf auf möglicherweise aufrührerische Gespräche hätten aufmerksam machen können. Doch allein die Tatsache, dass dieses Gespräch in einem öffentlichen, wenn auch etwas versteckten Bereich des Medialnets stattfand, sagte schon genug. Entweder hatte der Rat seine Prinzipien gelockert oder die Bevölkerung hatte an Selbstvertrauen gewonnen.
Einige Teilnehmer der Runde klinkten sich plötzlich aus; wahrscheinlich suchten sie einen Ort auf, der noch sicherer war. Aber gab es überhaupt einen Platz, an dem man sich vor dem Netkopf verstecken konnte – dem mentalen Sammelbecken des Medialnets? Ebenso gut hätte man versuchen können, sich vor der Luft zu verbergen.
Aber, fragte sie sich wieder, warum war der Rat nicht über das Ausmaß der Unruhe informiert? Es war nicht klug, so etwas zu ignorieren. Es sei den n … ! Ein unglaublicher Gedanke blitzte in ihrem Kopf auf.
Die brodelnde Unzufriedenheit um Faith fesselte nicht länger ihre Aufmerksamkeit. Selbst die Suche nach Marines Mörder rückte in den Hintergrund vor diesem neuen Zie l – gespeist aus einer Vorahnung, die beinahe schon den Charakter einer Vision hatte. Faith wollte mit dem Netkopf sprechen.
Doch wie den Kontakt herstellen? Der Netkopf hatte nicht dieselben Sensorien wie sie. Er war etwas ganz anderes, Einzigartiges, das es nur einmal auf dieser Welt gab. Vielleicht sprach er, dachte er, tat er nichts so wie sie. Sie wusste nicht einmal, wie sie ihn finden konnte. Er war überall und nirgends.
Da er sie schon einige Male gestreift hatte, seit sie sich im Medialnet befand, suchte sie sich einen ruhigen Ort in einem möglichst uninteressanten Datenstrom und wartete darauf, dass er erneut vorbeikam. Sie ignorierte die vernünftigen Stimmen in ihrem Kopf – ein Jaguar hatte ihr beigebracht, dass die Vernunft nicht immer recht behielt, dass man sich manchmal auf seinen Instinkt verlassen musste, selbst wenn dieser lange verborgen gewesen war und etwas Rost angesetzt hatte.
Sie hätte die sanfte und so gewohnte Berührung des Netkopfs dann fast übersehen, nahm ihn gerade noch rechtzeitig wahr und sandte einen Gedanken in die nähere Umgebung.
Hallo.
Keine Antwort.
Kannst du mich hören?
Mit wem versuchte sie da zu sprechen, mit sich selbst? Faith nahm an, dass man den Netkopf auf einer bestimmten geistigen Ebene sehen konnte und dass der Rat Zugang zu dieser Ebene hatte, aber das war ein wohlgehütetes Geheimnis. Da niemand in der Nähe zu sein schien, entschloss sie sich, ein Risiko einzugehen. Wenn der Netkopf noch jung und unfertig war, würde er vielleicht spontan reagieren. Wenn nicht, würde der Rat hinter ihr her
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