Jäger der Nacht
rauskommst.»
Millie sah ihn scharf an. Sie hatte erstaunt ihre Stirn gerunzelt.
«Du hast einen Freund... im Gallatin House?» Kevin nickte. «Ja, Mutti.»
«Wie kommt’s, daß du jemanden getroffen hast, der in so einem eleganten Teil der Stadt wie diesem lebt?»
«Ich hab’ ihn getroffen. Und er hat Geld. Er kann sich gut um mich kümmern.»
«Geld?»
«Ja, Mutti. Er hat einen tollen Job in der Innenstadt und eine echt schöne Wohnung und ein Auto und all so was, und er kann sich um mich kümmern, während du im Krankenhaus bist.»
Jake meldete sich zu Wort. «Das klingt ganz gut.»
Millie sah sich im Zimmer um, immer noch die Stirn gerunzelt, und wandte sich dann wieder an Kevin. «Wie kommste darauf, daß er sich um dich kümmert. Du bist doch nur ein Kind.»
Kevin öffnete den Umschlag. Seine Hände zitterten ein klein wenig, als er die knisternden, makellos getippten Unterlagen herausnahm, und entfaltete sie vor Millies Augen. «Mein Freund, Bruce, hat diese Unterlagen für deine Unterschrift vorbereiten lassen.»
Sie nahm eines der Papiere hoch und besah es sich mit verschwommenem Blick. «Das hat ein Anwalt gemacht. Komm’ nie dahinter, was sie meinen.»
Kevin redete weiter. «Es ist lediglich die Übertragung der Vormundschaft, Mutti, bis du wieder gesund bist.»
Millie reichte das Schreiben an Jake. «Worum geht’s da?»
Jake setzte seine Brille auf und blickte auf das Dokument, während Dennis ihm über die Schulter spähte. Jake nickte mit dem Kopf, während er las, und Kevin wurde sich plötzlich bewußt, daß Jake auf seiner Seite war. Jake mußte genauso dazu bereit sein, die Verantwortung loszuwerden, wie Kevin dazu bereit war, das Haus zu verlassen. Er fragte sich nur, was zwischen Jake und Dennis vorging, aber dann entschloß er sich schnell, daß er das gar nicht wissen wollte. Er wollte nur raus hier. Aber da gab es Millie...
Kevin redete immer weiter. «Das wird ganz prima klappen. Ich werde weder Jake noch sonst jemandem Ärger machen. Ich komm’ vorbei und besuch’ dich im Krankenhaus...»
Millie war plötzlich wie elektrisiert, und sie spuckte die Worte aus. «Aber ich geh’ nie nich’ ins Krankenhaus! Habt ihr mich verstanden? Ihr redet ja bloß mit Engelszungen, um mich loszuwerden!» Sie wischte die Unterlagen von dem Tischchen auf den Fußboden. «Da muß gar nichts unterschrieben werden, weil ich nämlich nicht gehe!»
Jake sah von dem Schreiben auf. «Du bist krank, Millie. Wenn du hier bleibst, wirst du nur noch kränker.»
«Ich bin nicht krank!» sagte Millie keuchend. «Und ich laß mich nicht einsperren!»
Sie sah Kevin mit großen Augen an, und dann wurde ihr Körper von einem Hustenanfall geschüttelt. Die Adern an ihrem Hals standen hervor, und ihre Augen wurden glasig, als ein Krampf nach dem anderen sie durchzuckte. Schließlich war sie ruhig. Das einzige Geräusch im Zimmer war das Röcheln ihres Atmens. Ihre Hand bewegte sich wie die eines Blinden, bis sie ihr Glas mit dem Whisky‐Mix auf dem Tischchen fand und es mit beiden Händen an ihren Mund brachte.
«Mutti...», sagte Kevin. «Nicht...»
Sie sah ihn wieder mit weit aufgerissenen Augen an. «Ich trinke, wann es mir paßt!» Und sie nahm einen großen Schluck.
Sie hatte das Glas kaum auf dem Tisch abgesetzt, als der Husten wieder anfing. Kevin legte einen Arm um sie, umklammerte ihre knochige Schulter, in dem Versuch, sie zu beruhigen, und er kämpfte mit den Tränen, die kurz davor waren, ihm in die Augen zu schießen. Er hatte sie angelogen. Ihr zu sagen, daß sie wieder gesund werden würde, obgleich doch der Geruch des Todes im Zimmer zu hängen schien. Ihr zu sagen, daß er sie im Krankenhaus besuchen würde, obgleich er doch mit Bruce in New York sein würde. Mit Engelszungen auf sie einzureden. Seine leibliche Mutter.
Aber... sie mußte diese Papiere unterschreiben! Jetzt.
Als der Husten abebbte, legte sie ihren Kopf an seine Schulter.
«O Kevie... Kevie...», murmelte sie. «Das Leben ist hart.»
Jake war mit dem Dokument durch und legte es zurück auf den Tisch. Millie richtete sich auf und sah Jake an. «Worum geht’s?»
«Es sagt genau das aus, was Kevin sagt. Du überträgst die Vormundschaft an einen Typen namens Andrews, der im Gallatin House lebt. Klar und deutlich. Weder gibt’s Geld, noch muß was bezahlt werden.»
Kevin sammelte die Unterlagen vom Fußboden auf. «Mutti, es ist nur für den Fall...» Er legte den Füller direkt neben die Unterlagen. Langsam
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