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Jäger der Nacht

Jäger der Nacht

Titel: Jäger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallace Hamilton
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meine Egozentrik dabei ist, mir auf den Keks zu gehen, wenn es das ist, was du meinst. Ich bin der Letzte der Linie. Worauf soll ich mich freuen? Das Bildnis einer alternden Tunte mit Katzen? Nein. Ich habe meine eigene ‹Linie›, um die ich mich kümmern will, und es ist höchste Zeit, daß ich mich am Riemen reiße und es in die Tat umsetze.»
    Nun war es an Gerald zu zögern. Die Strichmännchen auf seiner Schreibunterlage wurden immer krakeliger.
    Aber Geralds Stimme war schneidend wie immer. «Glaubst du allen Ernstes, daß es auch nur die geringste Möglichkeit gibt, daß die Mutter des Kindes das Wohlergehen ihres Sohnes einem Mann übertragen wird, den sie noch nicht einmal getroffen hat?»
    «Ich weiß nicht.»
    «Unwahrscheinlich.»
    «Das hängt von Kevins... Überredungskünsten ab. Was ich von dir will, sind die Vormundschaftsunterlagen, die sie unterzeichnen kann, falls es Kevin möglich ist, sie zu überreden.»
    «Und dann würdest du diesen Bundesstaat verlassen?»
    «Ja.»
    Gerald klopfte stirnrunzelnd mit seinem Bleistift auf die Schreibunterlage. «Ich kann ein Dokument vorbereiten, das dir die Erlaubnis erteilt, dich um das Kind zu kümmern. Ich bezweifle, daß es vor Gericht Bestand hat, falls sie ihn zurück will, bevor er sechzehn ist, aber er wird ja bald sechzehn, nicht wahr?»
    «Ja. Aber ich glaub’, daß ich irgendwelche Unterlagen brauche, um ihn in der Schule anzumelden.»
    Gerald nickte. «Das wird teuer in New York City, falls du ihn auf eine Privatschule schickst.»
    «Ich hab’ Ersparnisse. Ich werde einen Job haben. Und ich kenne einige Einzelheiten aus Tante Charlottes Testament.» Bruce starrte gedankenverloren in die Luft. «Ich glaube nicht, daß sich Tante Charlotte daran stören würde, wenn sie wüßte, wohin ein Teil ihres Geldes geht.»

22. KAPITEL
     
    Kevin ging die Houghton Street Richtung Burkett Street entlang und hielt einen großen hellblauen, offiziell aussehenden Umschlag, den ihm Bruce gegeben hatte, in der Hand. Er war extra zum Gallatin House rübergegangen, um ihn sich nach der Schule abzuholen, und er hielt ihn fest umschlossen in seiner Hand, als ob es sein letztes Besitztum auf Erden wäre.
    Nun lag es an ihm. In dem Umschlag – in dreifacher Ausfertigung – war das Leben, das er haben könnte oder nicht haben könnte. Und die Wahl hing von der Laune einer kranken, geistig verwirrten, alkoholischen Frau ab... aber einer Frau, die ihn liebte.
    Er ging die Houghton Street entlang, als wäre er ein Fremder. Wie die Wahl auch ausging, er würde hier nicht sehr viel länger sein. Wenn er mit Bruce nicht nach New York gehen könnte, würde er sich allein nach Washington auf den Weg machen und zur Hölle mit Miss Gotter. Andere Stricher hatten ihm erzählt, wie man am DuPont Circle oder an der New York Avenue, rund um die Busstation, anschaffen könne. «Such dir immer die Freier raus, die mit Regierungskennzeichen fahren», hatte ihm ein wortreicher Stricher geraten. «Sie zahlen besser, und du hast mit ihnen nie nich’ Ärger.» Und er hatte erstaunliche Zahlen vernommen – vierzig, achtzig, sogar hundert für eine Nummer. Er wußte, daß er mit diesem Geld auskommen konnte, sogar in Washington. Andere Jungs konnten es auch.
    Aber er würde allein sein. Er wäre der Gnade älterer Jungs wie Max und Arnie ausgeliefert, und er war sich im Klaren darüber, was sie mit ihm machen würden. Es würde keinen Bruce geben.
    Er blieb einen Moment vor dem Haus in der Burkett Street stehen, und alles, was ihm in den Sinn kam, war Bruce, wie er «ni...e...dri...ge Brücke!» sagte. Dann dachte er. ‹Aber ich komme da drunter durch !› Er reckte seine Schultern und ging ins Haus.
    Als er im Haus war, sackten seine Schultern zusammen, Millie war auf 180; ihr Haar war zerzaust, ihre Stimme ein würgendes Krächzen.
    Jake und Dennis standen einfach so rum, ganz dicht nebeneinander. «Ich geh’ nicht! Es kümmert mich ‘nen feuchten Dreck, was so’n verfluchter Doktor sagt. Ich geh’ nicht! Verstanden?» Sie nahm einen trotzigen, langen Zug aus dem Glas in ihrer Hand.
    «Und wenn sie kommen, dann sag’ ich ihnen, daß sie sich gefälligst verziehen sollen! Verstanden?»
    Sie brach auf der Couch zusammen, ihre Atemstöße waren ein schweres Keuchen. Aber ihre Augen waren wachsam wie die eines in die Enge getriebenen Tieres.
    Dennis drängte sich noch dichter an Jake. «Mutti...»
    «Halt’s Maul!»
    «Aber...»
    «Kein Widerwort zu deiner Mutter! Ich sag’s

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