Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jäger der Nacht

Jäger der Nacht

Titel: Jäger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallace Hamilton
Vom Netzwerk:
streckte Millie ihre Hand aus und nahm den Füller auf. Sie hielt ihn in der Schwebe, während Kevin ihr zeigte, wo sie unterschreiben mußte. Aber dann war die Hand bewegungslos.
    «Ich möchte diesen Andrews‐Typen treffen.»
    «Sicher, Mutti. Sicher.» Er führte ihre Hand runter zum Schreiben.
    «Er hat einen Anwalt bezahlt, nur damit der all dieses Zeugs schreibt? Nur für dich?»
    «Ja, Mutti.»
    Pause. Kevin hielt den Atem an.
    Millie nickte langsam mit dem Kopf. «Er muß ein netter Mann sein. »
    Sie unterzeichnete die drei Ausfertigungen des Dokuments, und Jake unterschrieb als Zeuge.
    Fünfzehn Minuten später kam der Krankenwagen. Als Jake die zwei Krankenwärter ins Zimmer führte, schrie Millie auf: «Ich gehe nicht!» Sie warf sich Jake in die Arme. «Laß es nicht zu, Jake!» Jake hielt ihren zitternden Körper. Dann sagte er sanft: «Ich komm’ mit dir mit, Millie. Mach dir keine Sorgen. Ich bin bei dir.» Schweigen.
    Millies Schultern sackten zusammen.
    Sie küßte Dennis. Dann küßte sie Kevin. «Du kommst doch und besuchst deine Mutter, nicht wahr?»
    «Sicher, Mutti.»
    Auf Jakes Arm gestützt, ging sie aus der Tür, gefolgt von den beiden Krankenwärtern.
    Die Unterlagen krampfhaft mit seiner Hand umschlossen, rannte Kevin die Treppen zur Dachkammer hoch, warf sich aufs Bett und heulte.

23. KAPITEL
     
    Sechs Monate darauf aßen Amory Borden und Gerald Sanderson an einem kleinen Tisch in einer ruhigen Ecke im Speisesaal des Kaufmannsklubs zu Mittag.
    Während er an seinem geeisten Sherry nippte, sagte Gerald: «Ich halte das ganze Arrangement immer noch für lächerlich.»
    Amory zuckte die Achseln. «Aber du mußt doch zugeben, daß es bis jetzt gehalten hat.»
    «Woher wissen wir das? Bruce kann sich genauso gut an dem Kind zugrunde richten. Sich selbst zerstören. Tragisch.»
    «Ich habe nicht diesen Eindruck gehabt.»
    «Hast du ihn gesehen? Bist du auf Besuch hingefahren?»
    «Nein. Aber ich beabsichtige, nächste Woche nach New York zu fahren.»
    «Aber woher weißt du’s dann jetzt?»
    «Wir telefonieren gelegentlich miteinander. Er scheint guter Dinge zu sein.»
    Gerald schnaubte verächtlich. «Der baut ‘ne Fassade auf. Darin ist er gut.»
    Amory stocherte in seinem Krabbencocktail herum. «Er und Kevin waren vor einigen Monaten hier.»
    «So?»
    «Nur kurz.»
    «Weshalb?»
    «Kevins Mutter starb. Sie kamen wegen der Beerdigung.»
    «Das hab’ ich nicht gewußt.»
    «Ich hab’ sie auf einen Drink getroffen, bevor sie abfuhren. Aber es war kein sehr redseliges Treffen.»
    «Verständlich.»
    «Dennoch...»
    «Dennoch... was?»
    «Sie waren zusammen. Das hält nun schon sechs Monate.»
    «Grotesk.»
    Amory starrte über den Tisch auf diesen unfehlbaren Mann, und er fühlte so was wie Wut in sich. Er hatte Bruces trostlose Einsamkeit gekannt. Aber Amory war ein wohlerzogener Mann, und dies war immerhin der Speisesaal des Kaufmannsklubs. Auffälliges Benehmen würde mit einem Stirnrunzeln gestraft werden.
    Amorys Stimme war die Lieblichkeit in Person. «Ist es dir in den Sinn gekommen, Gerald, daß wir davon vielleicht nicht den blassesten Schimmer haben?»
    Geralds Antwort kam genauso lieblich zurück. «Für einen Ex‐Freund bist du ganz schön tolerant.»
    Der Kellner brachte den Fisch. Junger Kabeljau. Sehr gut an diesem Tag.
     
    New York City bedeutete für Amory Freiheit. Man mußte nicht auf Schritt und Tritt aufpassen. Er mußte nicht seinen Kopf einziehen, wenn er in eine schwule Bar ging, und mußte sich keine Gedanken darüber machen, wen er wohl treffen würde, wenn er in der Sauna um eine Ecke ging. New York war der Ort, wo er er selbst sein konnte, und er genoß jede Reise, von der erwartungsvollen Spannung, die ihn überkam, wenn er den Zug am Hauptbahnhof verließ, bis zur befriedigten Erschöpfung, wenn er es sich auf der Heimfahrt im Zugabteil bequem machte.
    Ja, in seiner Unterhaltung mit Gerald über Bruce war er eine Seele von Toleranz gewesen, aber in seinen geheimsten Gedanken war er verdammt eifersüchtig auf Bruce, daß der den Mut gehabt hatte, die Zelte abzubrechen und nach New York zu ziehen. Manhattan war befreites Territorium.
    Nun, während der Zug in den Hauptbahnhof einfuhr, packte Amory seinen Hut, Mantel und die Reisetasche zusammen und gab einen glücklichen Seufzer von sich, als er aus dem Zug stieg.
     
    Es schneite leicht, als er ein Taxi herbeirief. Als er sich im Hotel in der unteren Fifth Avenue eintrug, war es fast sechs. Um sechs Uhr

Weitere Kostenlose Bücher