Jäger der Nacht
ab.»
Bruce war schuldbewußt. Er wollte nicht fortfahren, aber er tat es doch. «Wie dem auch sei, Chuck will, daß ich komme und seine Truppe verstärke, um eine städtische Anleihe aufzulegen, weil er den Eindruck hat, daß ich der Größte in städtischen Anleihen bin seit unserem letzten Finanzminister.»
«Das ist nicht unbedingt ein Pluspunkt.»
Bruce dachte daran, daß der Finanzminister im Gefängnis gelandet war. «Chuck ist moralisch nicht sehr wählerisch.»
«Und...?»
«Heute habe ich ihn angerufen und ihm gesagt, daß ich bereit bin umzuziehen.» Er sah Gerald direkt in die Augen. «Ich möchte Kevin mit mir nehmen.»
Gerald fuhr sich mit der Hand durch sein dünner werdendes, adrett gekämmtes Haar. «O mein Gott, ich habe befürchtet, daß das kommt.»
Die beiden Männer saßen sich am Schreibtisch gegenüber und sahen sich an. Als Gerald sprach, klang es, als würde er die Justinianischen Gesetze deklamieren. «Wer einen Minderjährigen über die Grenzen eines Bundesstaates bringt unter offensichtlich unmoralischem Vorsatz ohne Billigung oder Wissen seiner verantwortlichen Erziehungsberechtigten. Kidnapping. Vorsätzliche Vergewaltigung. Verletzung der Menschenrechte. Verführung eines Minderjährigen. Willst du, daß ich fortfahre? Ein eifriger Staatsanwalt könnte da wohl noch einen Fall von Brandstiftung mit einbauen, zusammen mit einem ruchlosen Verbrechen wider die Natur, wenn man die süßen kleinen Pobacken eines Kindes geknackt und bestiegen hat. Als dein Anwalt, Freund und als ein Angehöriger der Gerichtsbarkeit, erwartest du da von mir, daß ich diese Verrücktheit unterstütze?»
Bruce zog eine Augenbraue in die Höhe. «Das Gesetz, Sir, ist ein Trottel.»
Geralds Stimme wurde sonor. «Das Gesetz, verflucht sei es, ist das Gesetz!»
«Zusammengestellt unter Mißachtung der sozialen Wirklichkeit in unserer Subkultur, wie sowohl du als auch ich sehr wohl wissen.»
«Das Gesetz erkennt die Wirklichkeit ‹unserer Subkultur› – wie du es nennst – nicht an, wie sowohl du als auch ich sehr wohl wissen.» Er sah Bruce mit großen Augen an. «Noch erkennen unsere Gefängnisse sie an.»
«Dann wird es aber Zeit!»
Gerald stützte seinen Kopf auf die Hände. «In Ordnung, erzähl mir die Geschichte.»
«Ich hab’s dir gesagt. Ich gehe nach New York.»
«Erzähl mir was über Kevin.»
In den nächsten zehn Minuten erzählte Bruce Gerald alles, was er über Kevin wußte, wie sein Eindruck von dem Jungen war, was Kevin ihm erzählt hatte, welche Einzelheiten ihm bei Gesprächen unabsichtlich herausgerutscht waren, und was er sich zusammengereimt hatte. Und er zog ein Resümee. «Was ich Kevin vorgeschlagen habe, war die einzig vernünftige Lösung einer unhaltbaren Situation. Und das will ich durchfechten.»
Gerald malte auf seiner Schreibunterlage Männchen. «Woher weißt du, daß das, was Kevin dir erzählt, der Wahrheit entspricht? Jugendliche fantasieren gern, und sie übertreiben.»
«Ich weiß, daß er entweder ausreißt, falls seine Mutter ins Krankenhaus kommt, und das wäre das Ende seiner Erziehung, oder er nimmt sich das Leben, und das wäre das Ende von ihm.»
«Bist du dir sicher?»
Bruce dachte über die vergangenen Wochenenden nach. «Ja, ich bin mir sicher.»
«Bist du darauf vorbereitet, in Betracht zu ziehen, was das für dich ganz persönlich bedeutet? Der Versuch, es in deinem neuen Job zu schaffen, in einer neuen Stadt, und dabei mit so einem launenhaften Teenager fertig werden zu müssen, der, nachdem er seine Kindheit damit zugebracht hat, von einer Pflegefamilie zur anderen weitergereicht zu werden, offensichtlich einen Schaden davongetragen hat und diesen Schaden möglicherweise an dir ausläßt? Ich mein’, daß du gelegentlich in der Hafenstraße ein Küken aufliest, qualifiziert dich nicht dazu, die Verantwortung für die tagtägliche Erziehung eines heranreifenden menschlichen Wesens zu übernehmen. Der Lebensstil einer Schwuchtel toleriert nicht unbedingt das Anknabbern seiner Egozentrik, und du, mein lieber Bruce, hast dich solchem Lebensstil gewidmet, seit du das College verlassen hast. Meine gnädige Güte verbietet es mir, zu erwähnen, wie lange das schon zurückliegt. Mit wie viel dreckigen Socken glaubst du es aufnehmen zu können?»
Bruce bemühte sich, ein mattes Grinsen zu unterdrücken. «So viel, wie es braucht, um ihn dazu zu bringen, sie in den Wäschepuff zu stecken.»
«Du weißt, was ich meine.»
«Ich weiß, daß
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