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Jäger der Nacht

Jäger der Nacht

Titel: Jäger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallace Hamilton
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die Tür und stieg ein. Der Wagen raste los, und Kevin fühlte sich sehr, sehr allein gelassen.
    Er suchte mit den Augen die Landungsbrücken auf der anderen Seite der Hafenstraße ab und sah in einiger Entfernung die Masten der Mirabelle, die sich filigran gegen den Nachthimmel abzeichneten. Der Anblick des Schiffes entriß Kevin der Wirklichkeit, entfühte seine Gedanken in eine andere Zeit.
     
    Kevin war so tief in seinem Traum versunken, daß er kaum den Wagen bemerkte, der am Bordstein direkt vor ihm stand – mit leuchtenden Scheinwerfern, halbgeöffneter Beifahrertür, leisem Motor. Das Bewußtsein der Realität durchschauderte ihn. Nun ging’s los.
    Er ging zum Bordstein und spähte durch das Seitenfenster. Eine joviale Stimme sagte: «Hallo, Junge. Möchtest du mitfahren?» Und Kevin vergaß prompt alles, was Dennis ihm gesagt hatte.
    «Klar.» Er öffnete die Tür und setzte sich auf den Beifahrersitz. Der Mann war untersetzt, rundgesichtig und hatte lockige, graue Haare. Er erinnerte Kevin an einen Pfadfinderführer, den er in Laureldale gekannt hatte – dieselbe lässige, männliche Selbstsicherheit. Als der Wagen sich in Bewegung setzte, dachte Kevin, daß sie vielleicht nur so in der Gegend rumfahren würden; vielleicht würde der Mann ihm beibringen, wie man eine Krawatte bindet oder Bienen hält.
    Wieder die Stimme des Mannes, tief und kräftig. «Du bist neu hier in der Gegend, nicht wahr?»
    «Ja. Ich bin gerade erst in die Stadt gezogen.»
    «Immer gut, ein neues Gesicht zu sehen.» Er streckte eine schwielige Hand aus. «Nenn mich Harry.»
    Kevin nahm die Hand und fühlte einen warmen Druck. «Ich bin Kevin.»
    «Schön, dich zu treffen, Kevin.»
    Kevin rutschte vorsichtig näher an den Mann ran und versuchte sich vorzustellen, wie wohl sein Körper wäre. «Wo geht’s hin?»
    «Ach, ich weiß da ein nettes Plätzchen.»
    Kevin war erleichtert. Um Bienenzucht würde es heute Abend wohl nicht gehen.
    Harry bog in eine Seitenstraße ab und parkte den Wagen vor einem schummrigen Eingang, an dem eine blaue Neonreklame ‹Savoy Hotel› verkündete. Als sie die kleine Halle betraten, konnte Kevin Harry bei voller Beleuchtung sehen. Er war kleiner, als Kevin gedacht hatte. Seine Schultern waren breit, das Gesicht war von gesunder Röte und jugendlich, aber das lockige Haar auf seinem Kopf war nahezu schneeweiß. Kevin wollte es berühren. Er fragte sich, ob Harry ihm das erlauben würde.
    Der Mann am Tresen, hohlwangig und stoppelbärtig, sah auf.
    «Tag, Harry. Hab’ dich ja lange nicht gesehen.»
    «Werd’s wohl in meinem fortgeschrittenen Alter etwas langsamer angehen lassen.»
    Kevin sah, wie ihn der hohlwangige Mann ansah und sich dann wieder Harry zuwandte. «Netten Typ hast du da.» Mit einem prüfenden Blick sah er auf die Reihe von Schlüsseln an der Wand hinter sich. «Wie wär’s mit Zimmer 12? Zimmer 12 hast du doch immer gemocht.»
    «Gut.» Und mit einer gewissen Auffälligkeit überreichte Harry dem Mann hinterm Tresen seine Brieftasche und Autoschlüssel und Armbanduhr und erhielt dafür den Schlüssel für Zimmer 12.
    «Schönen Abend», sagte der hagere Mann grinsend. Er hatte kaum noch Zähne.
    «Los, Kevin», sagte Harry und legte einen Arm um dessen Schulter.
    Der Fahrstuhl war eng und quietschte. Harry behielt seinen Arm um Kevins Schulter, während der Fahrstuhl hochfuhr, und Kevin konnte den strengen Duft eines Rasierwassers riechen. Der Fahrstuhl hielt im dritten Stock, und die Tür öffnete sich.
    «Schon mal hier gewesen?» fragte Harry.
    Kevin schüttelte den Kopf, während sie in einen schummrig beleuchteten Flur hinaustraten, der unglaublich nach Sauerkraut stank. Zimmer 12 war am Ende des Flurs, und als sie zur Tür kamen, hatte Kevin das plötzliche Verlangen, die Feuertreppe hinunter und aus dem Gebäude zu rennen. Irgendwas würde da drinnen im Zimmer mit ihm passieren, und er wußte nicht, was. Für einen Moment wollte er es auch gar nicht wissen. Aber... er wollte das weiße Haar berühren.
    Harry schloß auf und führte ihn in ein Zimmer, das gerade groß genug war, um einen Schreibtisch, ein paar Stühle und ein Doppelbett aufzunehmen. An einer Seite des Raumes führte eine Tür zum Badezimmer. Kevin war noch nie zuvor in einem Hotelzimmer gewesen. Er fragte sich, wie viel Harry dafür bezahlt hatte.
    Harry schloß die Tür hinter ihnen, und sie sahen sich beide an. Harry betrachtete Kevin prüfend. «Du hast nicht gefragt, wieviel.»
    Kevin schüttelte

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