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Jäger der Nacht

Jäger der Nacht

Titel: Jäger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallace Hamilton
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‘n paarmal gemacht. Brauchte Geld und so. War halb so schlimm.» Er gähnte. «Die haben sich ganz schön an meinem Körper aufgegeilt. Hab’ nie gedacht, daß er viel hermacht. Dünn. Aber sie waren ganz wild auf mich, und das hat mir gefallen.»
    Kevin versuchte, sich den glühenden Körper neben sich vorzustellen, wie er auf einem Bett liegt, so nackt, wie er es bei Harry gewesen war. Er sah die Umrisse des Körpers, starr wie Stein, und dann kroch der Schatten eines zweiten Körpers über die leuchtende Gestalt. Er sah Joes Körper, silbrig nun, wie er begann zu wogen; wie sich die Beine, die Arme, der Rumpf wie Wellen im Mondlicht bewegten, fließend wie Wasser. Er empfand sich als Teil einer Meerlandschaft, so hell und glänzend wie das Silber neben ihm. Er sehnte sich danach, in dieses Licht zu strömen und in seinem Strahlen aufzugehen. Und doch empfand er sich nur so dickflüssig wie Blut.
    Dennis sprach mit überdeutlichem Flüstern. «Da hinten tut sich was!»
    Rico: «Was meinste damit?»
    «Irgendwas. Kann’s nicht genau erkennen.»
    «Bullen?»
    Joe schoß hoch: «Bullen irgendwo?»
    Kevin ließ seine Tüte fallen. Dann spähte er in die Dunkelheit.
    «Seh’ nichts.»
    Dennis streckte einen Arm aus. «Da drüben beim Baum.»
    «Das kommt von der Farbe, die du schnüffelst», sagte Rico.
    Joe stopfte seine Tüte in seine Windjacke. «Wir sollten besser von hier verschwinden.»
    Kevin war der Älteste. «Ich geh’ hin und seh’ nach.»
    Erstaunt über seinen eigenen Mut, ging Kevin, am Engel vorbei, zu einem mächtigen, ausladenden Baum. Er fühlte sich benebelt von den Farbdämpfen, und seine Schritte waren unsicher. Er stolperte gegen einen Grabstein, murmelte «‘tschuldigung» und versuchte, irgendein Lebenszeichen vor sich auszumachen. Lichtschein, durch das Laubwerk gefiltert, strich über die Grabstätten. Für einen Moment glaubte er, eine Gestalt gesehen zu haben, aber es war nur ein hoher Grabstein. Er erreichte den Baumstamm und lehnte sich abstützend dagegen.
    Die Stille um ihn herum war voll von Grabsteinen. Und unter ihnen? Er fühlte sich plötzlich eingekreist. Die Zylinder. Die langen Kleider. Das Klappern von Pferdehufen jenseits der Mauer zur Houghton Street. Langsam sank er am Baumstamm hinab, bis er auf der Erde saß, auf der Erde, die zahllose Körper barg.
    Er hörte die Stimme von Dennis. «Hey, Kevin, tut sich da irgendwas?»
    Kevin fühlte sich, als ob er die Toten verraten würde. «Nein, nichts.»
    «Los, komm zurück», sagte Joe.
    «Komme schon.»
    Kevin rappelte sich auf; doch als er mittendrin war, hörte er Geräusche, und es schienen reale Geräusche zu sein – leise Stimmen und Rascheln im Gebüsch. Leute... sie kamen aus der Erde! Sie! Irgendwer! Kevin erstarrte, wagte kaum zu atmen, stützte sich an einem Grabstein ab. Wie würden sie aussehen? Aus der Erde zu kommen nach all der Zeit, würden sie alle von Würmern zerfressen sein? Oder so, wie sie in ihrem früheren Leben gewesen waren, fein angezogen und schön aussehend? Würden sie wie Vampire aussehen, bereit, ihm weh zu tun, bereit gar, ihn zu töten und seine Innereien zu fressen? Oder würden sie ihn suchen und finden und mit sich zurücknehmen? Vielleicht würden sie ihn aber auch in das Land mitnehmen, in dem es wogende Hügel gab, wo es sprudelnde Bäche gab und wo er eine andere Zeit vorfinden würde, in der noch alles seine Richtigkeit hatte.
    Auch wenn das bedeuten sollte... wenn sie ihn mit sich nähmen, würde er tot sein.
    Die Stimmen kamen näher. Kevin fühlte den Boden unter seinen Füßen schwanken, ein Gefühl, als ob er fortgeschwemmt werden würde. Aber jetzt, in diesem Moment, kümmerte ihn das nicht. Er hatte nichts, was eine Rückkehr lohnte, kein Ziel, nichts, woran ihm wirklich gelegen war. Seit er die Crimmins verlassen hatte, war kaum etwas seinen richtigen Gang gegangen. Er gehörte nirgendwo mehr hin, jedenfalls nicht so wie Dennis. Und so, wie er über die Dinge dachte, würde er niemals irgendwo hingehören.
    Er starrte in die Dunkelheit und versuchte, die Ursache der Geräusche zu ergründen. Er wollte herausschreien, er sei hier, daß er bereit sei, mit ihnen zu gehen, aber die Worte kamen einfach nicht aus ihm heraus. Er stand einfach nur da, hilflos, schwankend, wartend...
    In einem Lichtschein, der von der Straße kam, wurde plötzlich eine schlanke Gestalt sichtbar. Dann zwei größere Gestalten. Aber sie waren nicht angezogen wie die Leute auf der Zeichnung. Ihre

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