Jäger der Nacht
T‐Shirts und Hosen saßen enganliegend, und sie gingen, als ob sie sich auskannten.
«Da drüben», sagte der Kleinere. «Ich hör’ sie.»
Kevin vernahm die Stimmen von Dennis, Joe und Rico hinter sich in der Dunkelheit. Er fühlte sich im Stich gelassen, allein gelassen am Grabstein, als ob er selbst ein Geist wäre und lebende Körper beobachtete, die dahinschritten.
Die Stimme von Dennis, nuschelig. «He‐ey, Kenny. Hab’ reichlich Stoff hier.»
Die drei Gestalten gingen dicht an Kevin vorbei, umrundeten das Steinhaus in Richtung Engel. Unbewußt machte sich Kevin ganz klein, als sich die Gestalten ihm näherten. Die größeren Gestalten strahlten eine Kraft aus, die Kevin vorkam wie der Tod persönlich. Vielleicht wohnten sie ja auf dem Friedhof und erwachten nur des Nachts zum Leben. Er konnte nur die schwachen Umrisse ihrer Gesichter sehen, aber er erkannte, daß die beiden Größeren älter waren als er, älter als Joe, Rico und Dennis. Ihre Gesichter, nur verschwommen im Licht von der Straße wahrnehmbar, hatten ausgeprägte Züge, und Kevin schätzte, daß sie sich mindestens dreimal die Woche rasieren müßten. Er spürte dieselbe Angst, die er auch bei dem Mann mit der Brille gehabt hatte. Er dachte daran, vom Friedhof wegzurennen und es Dennis zu überlassen, es mit wem auch immer aufzunehmen. Aber er war Dennis’ älterer Bruder. Wegzulaufen würde nicht richtig sein. Mucksmäuschenstill und unsichtbar verharrte er beim Grabstein und lauschte.
Er hörte nur Bruchstücke einer geflüsterten Unterhaltung. Die Stimmen waren kaum auseinanderzuhalten, ausgenommen die kieksende Stimme des Kleineren, Kenny, der die Rauheit der anderen Stimmen wohl nachahmen wollte und damit keinen Erfolg hatte. Was vor sich ging, ergab sich eindeutig aus dem Zischen der Sprühdose und dem Knistern von Papier. Sie wurden alle high von der Farbe, und das Geplappere ihrer Stimmen machte klar, daß sie dazu nicht sehr lange brauchten.
Dann wurde das Gemurmel von Kennys Stimme übertönt, hell und flehend: «Nein, ich will nicht... ehrlich nicht... laßt mich gehen...»
Kevin hörte ein Handgemenge. Kenny jammerte. Raues Lachen erscholl, und die Stimmen wurden vor Erregung immer lauter.
«Legt ihn hin... ja... ich will zuerst! ... zieh nicht weg... haltet ihn fest...» Wieder Aufschreie von Kenny. Kevin zitterte, preßte seinen Körper gegen den mächtigen Grabstein.
Die Stimme von Dennis klang klar durch die Dunkelheit. «Hey, Kevin! Komm her. Wir machen hier ganz schön einen los!»
Kevin rührte sich nicht.
«Hey, Kevin! Wo steckst du? Komm schon!»
Kevin wollte wegrennen, abhauen, sich in diesem Wald von kalten Steinen verlieren. Aber Dennis’ Stimme hatte eine derart durchdringende Kraft, daß sie ihn nicht mehr losließ und ihn, Schritt für Schritt, zu den Stimmen zog.
Als er um das Steinhaus bog, sah Kevin die kleinere Gestalt, Kenny, alle viere von sich gestreckt, auf der flachen Grabplatte liegen , sein nackter Unterleib gespenstisch weiß in der Dunkelheit. Joe und Rico waren an seinem Kopf, die beiden größeren Gestalten hockten bei seinen Füßen und rieben ihre Beulen, während Dennis seitlich stand und Kennys Schultern festhielt. Kevin konnte Kennys leises, verloren klingendes Jammern hören.
Dennis’ Stimme klang fiebrig. «Hey, Kevin, du kannst was abhaben. Das reicht für uns alle.»
Kevin trat einen Schritt zurück. «Warum laßt ihr den Kleinen nicht gehen?»
Eine der größeren Gestalten wandte sich Kevin zu. «Ihn gehn lassen? Quatsch, Mann, er steht drauf!» Er klatschte Kenny auf den Hintern. «Oder etwa nicht, du Tunte?» Kenny jammerte. Noch ein Schlag, dessen Klang von Fleisch auf Fleisch die gespenstische Stille durchschnitt. «Sag, daß du drauf stehst, Miststück!»
Kenny schniefte. «Schon gut. Mach schon.»
«Sag, du stehst drauf!» Und noch ein klatschender Schlag.
«Mach schon! Schieb ihn rein!»
«Auseinander mit den Beinen, Baby. Du kriegst ihn bis zum Anschlag rein!»
Eine der größeren Gestalten an Kennys Füßen bewegte sich vorwärts. Die Hände auf dem Stein an jeder Seite des schmalen Körpers abgestützt, streckte sie sich langsam wie ein besitzergreifendes Schreckgespenst. Kenny japste, und dieses Geräusch vermischte sich mit dem kehligen Seufzen der Besitzergreifung, als die Gestalt runtersank, bis Kennys Körper kaum noch zu sehen war. Mit einem rhythmischen Auf und Nieder schien die Gestalt nun zu versuchen, Kennys Körper durch den Stein und in das Grab
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