Jäger der Nacht
Gesicht klar und deutlich – ein junges Gesicht mit dicken Brauen und einem knubbeligen Kinn –, sehr männlich. Aber nun war es von Platzwunden und Schwellungen entstellt, und aus seiner Stirn sickerte reichlich Blut. Sein Hemd war zerrissen. Auf seiner Schulter war eine klaffende, dunkle Wunde.
Amory legte ihm eine Hand auf den Arm. «Wo tut es weh?»
Der junge Mann öffnete seine Augen und sah ihn mit glasigem Blick an. «Überall.»
«Diese kleinen Schweinehunde!» Er nahm sein Taschentuch und wischte ihm damit das Blut von der Stirn. «Kannst du gehen?»
«Weiß ich nicht.»
«Du müßtest ins Krankenhaus. Soll ich einen Krankenwagen rufen?»
«Laß mich versuchen... zu gehen.»
«Ich helf dir.»
Einen Augenblick lang blieb der junge Mann bewegungslos liegen. Dann, ganz langsam, drehte er sich auf die Seite, stützte sich auf einen Ellenbogen und ruhte seine Stirn an Amorys Arm. «Was ist passiert? Es ging alles so schnell.»
«Eine Bande von Jungs, Schwule ticken. Muß ‘ne kleine Armee gewesen sein.»
Wut verzerrte die Stimme des jungen Mannes. «Scheiß Heteros!» Er setzte sich auf und hielt seinen Kopf in den Händen. «Mist, ich fühl’ mich, als sei ich unter einen Lastwagen geraten.»
«Kannst du klar sehen? Ist dir schwindelig?»
«Ja... ja... ich kann sehen. Nur, daß es hier nichts gibt, was ich gern sehen möchte.» Er zögerte. «Dich ausgenommen.»
Amory legte einen Arm um die Schulter des jungen Mannes, und für ein Weilchen lehnte der seinen Kopf an Amory. «Warum muß es immer uns passieren?»
Amory schoß wieder dieses Gesicht voll von wütendem Haß durch den Kopf. Aber so schnell es gekommen war, so schnell verjagte Amory es wieder aus seinen Gedanken. «Auch Heteros werden überfallen.»
«Ja, aus einem einfachen Grund... zum Beispiel Geld.»
«Haben sie deine Brieftasche geklaut?»
Der junge Mann verlagerte unter Schmerzen sein Gewicht und griff nach hinten an seine Gesäßtasche. «Nee, noch alles da.»
«Tja, heutzutage sollten wir so was einen politischen Anschlag nennen.» Er drückte eine Hand gegen die Schulter des jungen Mannes. «Glaubst du, daß du jetzt aufstehen kannst?»
«Ich kann’s versuchen.»
«Ich glaube, es ist wirklich besser, wenn wir beide hier aus diesem Park verschwinden.»
«Ich weiß.» Unter Aufbietung aller Kräfte kam er auf die Knie.
«Und ich werd’ auch nicht wieder hierher zurückkommen.» Während der junge Mann aufstand, stützte ihn Amory unter den Achseln. Er schwankte. Amory fing ihn auf. Der junge Mann schlang seine Arme um Amorys Hals und hielt sich fest, seinen Kopf auf Amorys Schulter, gelegt. Amory fühlte, wie ein Zittern diesen Körper durchlief. Allmählich, ohne daß einer von ihnen ein Wort sagte, legte sich das Zittern.
Sie gingen gemeinsam den Pfad entlang, durch den Laubengang, der nun von Teufeln heimgesucht schien, und aus dem Park auf die Straße. Der vorbeirauschende Verkehr erschien Amory als etwas Glückseliges und Freundliches. Er führte den jungen Mann die Straße entlang zu dem Platz, wo er seinen Wagen geparkt hatte, und half ihm auf den Beifahrersitz.
Amory zwinkerte geblendet, als er das kalte Licht der Notaufnahme sah, als sie das Krankenhaus betraten. Er hatte das Gefühl, daß sie beide der Krankenschwester am Empfang und all den anderen weißgekleideten, vorbeihuschenden Gestalten schutzlos ausgeliefert und von ihnen durchschaut waren. Er fühlte sich fremd und aussätzig im Anblick einer Übermacht, die genauso in der Überzahl war wie die angreifenden Teufel im Park. Im selben Moment verspürte er den Drang, seine Wut an der glatten Oberfläche des Empfangspultes auszulassen, der kaltblickenden Schwester dahinter ins Gesicht zu spucken, den jungen Mann in die Arme zu nehmen und ihn irgendwohin in ein schützendes Bollwerk zu bringen.
Aber der Kerl war verletzt. Und die kalten Weißkittel konnten auch heilen. Amory wurde von einem rothaarigen jungen Doktor im Untersuchungszimmer der Notaufnahme schnell abgefertigt.
«Sie sind in Ordnung. Gehen Sie nach Hause, trinken Sie einen und nehmen Sie ein Aspirin. Und halten Sie sich von dem verdammten Park fern.» Es schien ihn nicht im Mindesten zu interessieren, was Amory wohl im Park gemacht haben könnte; ihn interessierte nur, daß jemand verletzt worden war. Der Arzt legte den jungen Mann auf den Behandlungstisch und untersuchte behutsam sein Gesicht und die Schultern.
Amory, der auf der anderen Seite des Tisches stand, fragte ihn: «Gibt
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