Jäger der Nacht
sich im Geiste einen Knoten ins Taschentuch, um nicht zu vergessen, Charlottes Haushälterin, Miss Harkins, danach zu fragen und herauszufinden, woran es wohl liegen mochte. Doch als er gerade daran dachte, zündete sich Charlotte schwungvoll eine Zigarette an und erging sich in einer etwas gewagten Geschichte über den schwülstigen und nichtsnutzigen Bürgermeister, einen Sproß der ‹guten Gesellschaft›, den sie seit seinen Kindertagen kannte. In diesem aufflackernden Moment war Charlotte wieder ganz so wie in alten Tagen.
Aber als die Mahlzeit beendet war, erhob sie sich schwerfällig vom Tisch und ging mit zögernden Schritten, eine Hand auf Bruces Arm gelegt, zur Tür. Es lag eine lange Zeit zurück, daß sich jemand hilfesuchend an Bruce gelehnt hatte. Amory war ein unabhängiger Typ gewesen – Zuneigung, ja; Abhängigkeit, nein. Es hatte nichts mit seiner Sorge um Charlotte zu tun, daß er es vorzog, stark und beschützend zu sein. Sein Vater war so mit ihm umgegangen, aber es war unwahrscheinlich, daß er jemals einem Sohn seine Stärke weitergeben konnte; und das versetzte ihm gelegentlich einen Stich, als ob ihm was fehlen würde. Aber immerhin war da ja noch Charlotte.
Er führte seine Tante zum Auto und fuhr mit ihr zurück in seine Wohnung im Gallatin House, einem baumumsäumten, ruhigen Gebäude im viktorianischen Stil, um mit ihr noch einen Verdauungs‐Brandy zu trinken. Er erwartete den Besuch von Gerald Sanderson und dessen Freund, George Matson. Gerald und George konnten ‘ne ganz schöne Show abziehen, wenn sie in Stimmung waren. Charlottes wegen hoffte er, daß sie an diesem Abend in Stimmung sein würden.
Sie waren es. Sie kannten sowohl Bruce als auch Charlotte sehr gut, waren sich bewußt, daß sich Bruce von seiner Trennung von Amory noch nicht erholt hatte und bemerkten, daß Charlotte zunehmend zerbrechlicher aussah; und da sie rein gefühlsmäßig die Situation erfaßten, übertrafen sie sich selbst. George leitete die Vorstellung mit einer berühmten Szene von Bette Davis ein, als er sich in der üppigen Düsternis umsah, die die viktorianischen Möbel in Bruces Eingangsdiele verbreiteten: «Whatta dump!»
Mit Gerald als ‹seriösem› Partner – er spielte den Seriösen an jedem Werktag als Partner in einer Innenstadt‐Kanzlei – spulte George sein Repertoire von leidenden Heroinen aus zweitklassigen Filmen ab, während der Brandy in Strömen floß und Charlottes Augen vor Vergnügen aufblitzten.
Dann kam Geralds Solo mit der herzzerreißenden Geschichte eines Klienten, der einen struppigen Hund hatte, und einem Vermieter, der ein keifendes Weib hatte mit einer besonderen Abneigung für struppige Hunde. Er deklamierte die Szenerie in der den Anwälten eigenen Gestelztheit und würzte sie mit Fachausdrücken, vorzugsweise auf Latein, und unterstrich seine Worte mit zuckenden Augenbrauen, was an Groucho Marx erinnerte.
Aber Bruce bemerkte, daß sich Charlotte zwar über die George & Gerald‐Show amüsierte, aber daß sie auch müde wurde, und mit rücksichtsvoller Beiläufigkeit schlug er vor, sie zurück in ihre Wohnung zu fahren. Jahre zuvor hatte Charlotte sich stets damit gebrüstet, die Letzte zu sein, die eine Party verließ; aber nun sah sie Bruce mit traurigen Augen an und sagte, daß sie doch auch ein Taxi nehmen könnte. Aber davon wollte Bruce nichts wissen. Bruce versicherte George und Gerald, bald wieder zurück zu sein, und geleitete Charlotte zu seinem Wagen.
Im Wagen war Charlotte in Gedanken versunken. «George und Gerald sind unterhaltsam.» Pause. «Sag mal, hat Helen sie kennengelernt, bevor sie starb?»
Bruce rutschte verlegen hin und her. Helen war Charlottes ältere Schwester... und seine Mutter. «Nein. Ich glaube nicht, daß sie George und Gerald verkraftet hätte.»
«Nein, wahrscheinlich nicht», seufzte Charlotte. «Helen hat mir immer damit in den Ohren gelegen, warum du nicht Sally Richardson heiraten würdest oder eins von den anderen Mädchen. Schon seltsam, daß Eltern so... kurzsichtig ihren Kindern gegenüber sein können.»
«Nenn es den verdrängenden Blick.» Er versuchte, lässig zu klingen. «Ich war immer dankbar dafür, daß es dich gibt.»
«Dafür sind Tanten da», sagte Charlotte.
Bruce hatte Tränen in den Augen, als er ihr einen Gute‐Nacht-Kuß gab und ihr nachsah, wie sie schleppend die Eingangshalle ihres Wohnhauses betrat. Aber er wußte, daß sich Miss Harkins verläßlich und pflichtbewußt um sie kümmern
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